Granger Ann - Varady - 01
einzige Hoffnung bestand darin, die Abzweigung
zum Gestüt zu erreichen. Er würde mir nicht die Auffahrt
hinauf folgen – hoffte ich. Irgendjemand könnte ihn vom
Haus aus sehen. Ein Stück weit voraus sah ich bereits das
Holzschild und die Abzweigung. Sicherheit. Ich rannte darauf zu wie ein mittelalterlicher Flüchtling, der mit dem
Mob auf den Fersen in Richtung der rettenden Kirche flüchtet. Doch es ging bergauf, steil bergauf. Ein scharfer Schmerz
zuckte durch meine Seite, und ich klappte zusammen. Ich
würde es nicht schaffen. Ich musste stehen bleiben.
Der Lieferwagen hatte mich eingeholt und hielt an. Eine
Tür wurde zugeschlagen. Schritte näherten sich.
»Es ist soweit, Francesca«, sagte ich zu mir zwischen den
Krämpfen.
Ich versuchte mich aufzurichten und stöhnte vor
Schmerz. Eine Hand packte mich an der Schulter. Ich würde
mich nicht kampflos ergeben, nicht einmal in meinem Zustand. Wenn Terry gekämpft hätte, wäre vielleicht alles anders gekommen und sie hätte nicht von der Decke gebaumelt. Ich stieß mit dem Ellbogen nach hinten und hörte einen überraschten Schmerzensschrei. Gut!, dachte ich, du
hast ihn erwischt, wo es weh tut. Ich stieß den Ellbogen ein
weiteres Mal nach hinten und wurde mit einem weiteren
Schmerzensschrei belohnt.
»Fran! Hör auf damit, ja? Was machst du denn? Was habe ich dir getan?«
Ich hörte meinen Namen, und die protestierende Stimme
war mir vertraut. Ich wand mich in seinem Griff, spähte
nach oben, während ich nach Luft rang und mir die stechende Seite hielt, nass geschwitzt – ich musste einen unglaublichen Anblick bieten.
»Bist du völlig verrückt geworden?«, ächzte Ganesh. »Ich
versuche, dich auf mich aufmerksam zu machen, und du
gehst ab wie eine Rakete! Was ist denn los mit dir? Trainierst du für die nächsten Olympischen Spiele? Als Nächstes
benutzt du mich als Sandsack – hat das Landleben dir das
Gehirn verrotten lassen, oder hast du völlig den Verstand
verloren?!«
»Ich dachte, du wärst ein Killer und hinter mir her«, sagte ich.
Er hatte mich zum Wagen geführt, und wir waren am
Gestüt vorbei und den Berg hinuntergefahren, bis wir ein
kleines bewaldetes Tal erreicht hatten. Dort saßen wir, bis
das Stechen in meiner Seite abgeklungen und ich wieder zu
Atem gekommen war.
Ganesh saß mir zugewandt auf dem Fahrersitz, mit dem
Rücken gegen die Tür gelehnt, einen Arm auf der Rücklehne, den anderen auf dem Lenkrad. Die langen schwarzen
Haare hingen ihm wirr ins Gesicht, und er funkelte mich
wütend zwischen den Strähnen hindurch an. Wahrscheinlich schmerzten ihn noch immer die beiden Hiebe, die ich
ihm versetzt hatte, und was ich zu sagen hatte, machte ihn
nicht glücklicher. Ich hingegen war ehrlich erleichtert, ihn
zu sehen, auch wenn ich im Augenblick nicht viel mehr tun
konnte, als ihn anzustarren.
Dann sagte er in dem Tonfall, mit dem er Eiswasser auf
meine Ideen zu kippen pflegte: »Killer?«
»Ja, ich …« Ich gab mir alle Mühe, es nicht wie eine dumme Idee klingen zu lassen. »Es hätte sein können!«
»Ein Killer, ja? In einem Wagen wie diesem hier, ja? Er ist
nicht gerade geeignet als Fluchtfahrzeug, findest du nicht?
Er hat mit Mühe und Not die Strecke von London hierher
geschafft. Wieso hast du mich eigentlich nicht erkannt? Es
ist unser Lieferwagen, aus dem Geschäft! Du hast ihn oft
genug gesehen!«
Was meine Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenkte, dass
es im Innern des Wagens nach Salat, Kartoffelerde und überreifen Bananen roch. Zu meinen Füßen lag ein aufgerissenes
Plastiknetz mit dem Etikett: Florida Pink Grapefruit. »Ja, ich weiß!«, fauchte ich und errötete. »Aber in London, nicht hier! Du hast nicht gesagt, dass du herkommen
willst! Was machst du überhaupt hier?«
»Dich retten«, sagte er. »Ich bin gekommen, um dich mit
mir zurück nach London zu nehmen.«
»Nicht jetzt! Nicht jetzt, nachdem ich endlich weitergekommen bin!«
Ich platzte mit meinen jüngsten Theorien hervor. »Terry
sollte alles erben. Damit hätten mehrere Leute im Regen gestanden. Beispielsweise Philip, Terrys Vater. Jeder hier sagt,
dass er sich nie für das Gestüt interessiert hat und dass er
selbst ein erfolgreicher Geschäftsmann ist. Ich glaube nicht,
dass er seine eigene Tochter umbringen würde. Aber was ist
mit Jamie? Er war an jenem Tag in London, da bin ich mir
absolut sicher. Du hast ihn gesehen, genau wie Edna. Ich
hab ein Stück von Squibs Kreide in seinem Wagen gefunden, und er benutzt dieses Eau de
Weitere Kostenlose Bücher