Granger Ann - Varady - 02
dass ich anderen vorschreiben wollte, wie sie zu
leben hatten? Mein eigenes Leben war schließlich bis zum
heutigen Tag auch nicht gerade ein spektakulärer Erfolg. Allerdings trug ich wenigstens keinen alten Hass mit mir herum. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich keinerlei Ballast aus der Vergangenheit mitschleppte. Das tun
wir alle, die einen mehr, die anderen weniger. Doch ich tat
mein Bestes, um mir davon nicht meine Zukunft versauen
zu lassen.
Sie war so besessen, dass es ihr gelungen war, alles andere
auszuklammern. Sie hatte sogar mich dazu gebracht, mich
in ihre persönlichen Probleme verwickeln zu lassen. Aber es
gab da noch etwas, das ich fast vergessen hätte und das sie
vollkommen übersah. Ich war nicht ihretwegen hierher gekommen. Ich war hier, weil ich die Fürsprecherin für jemand war: Wenn ich nicht für ihn sprach, dann hatte er in
dieser Sache überhaupt keine Stimme mehr.
»Was ist mit Albie?«, fragte ich deshalb.
Meine Frage schien sie völlig zu verwirren. Ihr Gesicht
wurde leer, und sie zog die Augenbrauen hoch. »Albie? Wer
ist Albie?«
»Das ist der arme, alte Stadtstreicher, der deine Entführung beobachtet hat. Nur, dass er jetzt tot ist, praktisch,
nicht wahr? Der einzige Tatzeuge.«
Sie sah mich an, als wäre ich übergeschnappt. »Es war
niemand auf der Straße! Ich war ganz allein, als die beiden
Trottel mich geschnappt haben!«
Ich erklärte ihr, dass Albie im Windfang von St. Agatha
campiert habe.
Sie überlegte einen Augenblick, dann zuckte sie die Schultern und tat meine Worte ab. »Ich habe jedenfalls niemanden
gesehen. Ich kenne keinen Albie. Spielt es eine Rolle? Ich
meine, wenn er doch tot ist?«
Ich verlor die Beherrschung. »Ob es eine Rolle spielt?
Und wie es das tut! Wenn Albie tot ist, dann nur deinetwegen! Weil er deine Entführung beobachtet hat!«
Sie wurde verschlossen. Sie war eine hübsche Frau, aber
wenn sie einen so ansah, wirkte sie zänkisch. Sie trug Jeans
und einen Pullover mit einer Jeansjacke darüber, im Grunde
genommen die gleichen Sachen, die Albie beschrieben hatte,
die sie bei ihrer Entführung angehabt hatte. Nur das Aliceband fehlte.
Meine Vorwürfe machten sie unruhig. »Hör zu«, sprudelte
sie hervor. »Es tut mir Leid, wenn er tot ist und wenn das, was
du sagst, so gewesen ist. Aber ich weiß nicht, ob es stimmt,
und ich weiß verdammt noch mal überhaupt nichts über
einen alten Penner!«
»Du hast Merv und Baz also nicht rein zufällig geschickt,
damit sie sich um ihn kümmern?«, fragte ich. Ich war inzwischen richtig wütend und erhob eine Anschuldigung nach
der anderen.
»Natürlich nicht, verdammt!«, rief sie aufgebracht. Sie
beugte sich erregt vor, doch dann ließ sie sich in ihrem Sessel wieder zurücksinken.
»Genau!«, fauchte ich. »Raus aus diesem Sessel, auf der
Stelle!«
Sie blieb sitzen und schob sich ganz nach hinten, während sie die Lehnen packte, um sich festzuhalten. »Warum?«
»Weil ich das sage!« Ich sprang auf sie zu und packte sie.
Wir waren ungefähr gleich groß und kräftig, doch sie hatte nie selbst auf sich Acht geben müssen, wie ich es getan
hatte. Sie war keine geübte Kämpferin. Ich riss sie aus dem
Sessel, stieß sie zu Boden und stemmte einen Fuß auf ihren
Hals.
»Lass mich los!«, gurgelte sie und schlug wild um sich. Sie
packte mein Bein, aber der zunehmende Druck auf ihrer
Kehle brachte sie bald dazu aufzuhören.
»Ich will nichts weiter als sehen, was du so vorsorglich in
diesem Sessel vor mir versteckst«, grinste ich.
Was hatte ich eigentlich erwartet? Es war ein Handy, und
sie hatte es in die Ritze zwischen Sitzpolster und Armlehne geschoben. Ich zog es heraus und wedelte damit vor ihrer Nase.
»Kontrollierst du damit deine Schläger?«
Sie spuckte und fluchte am Boden liegend. Ich zog die
Antenne heraus und wählte den Notruf.
Lauren warf sich unter meinem Fuß herum und brachte
mich aus dem Gleichgewicht. Ich stolperte und fiel in den
Lehnsessel. Sie stürzte sich auf mich, und ich trat zu. Sie
stolperte zurück und landete hart auf dem Hosenboden. Ihre Augen blitzten hasserfüllt durch das Gewirr langer blonder Haare. Hätte sie gekonnt, sie hätte mich wahrscheinlich
in Stücke gerissen. Ich sprang aus dem Sessel und ging auf
Distanz zu ihr.
Endlich hatte ich eine Verbindung zur Vermittlung. Ich
bat darum, zur Polizei durchgestellt zu werden. Diesen Augenblick, in dem ich abgelenkt war, nutzte Lauren: Kreischend stürzte sie sich erneut auf mich.
Das
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