Granger Ann - Varady - 02
mit ihren Entführern gemeinsame Sache machen. Vinnie hat mir gezeigt, wie es
geht, bei Mummy. Es ist eine klassische Geiselsituation, das
Stockholm-Syndrom, nennt man es. Der Gefangene macht
freiwillig alles, was seine Folterknechte von ihm verlangen.
Er hilft ihnen sogar. Es ist eine ganz merkwürdige Partnerschaft, weißt du? Ich werde einfach behaupten, dass ich viel
zu verängstigt gewesen sei, um einen Fluchtversuch zu wagen, und später zu leer im Kopf, um eigene Gedanken zu
fassen.«
So verrückt es auch klang, ich war nicht sicher, ob sie
nicht damit durchkommen würde. Sie war clever und verschlagen, und ich war sicher, dass sie gar keine schlechte
Schauspielerin abgegeben hätte. Niemand hingegen würde
Merv oder Baz Glauben schenken. Parry würde vielleicht
mir glauben, doch im Zeugenstand würde ein geschickter
Anwalt meine Glaubwürdigkeit vor einer Jury im Handumdrehen erschüttern. Es klang alles so sauber und logisch –
bis auf eine Sache. Etwas, das wir beide bis zu diesem Augenblick übersehen hatten.
Merv und Baz. Das ergab einfach keinen Sinn. Die beiden
hatten einfach keine eigenen Ideen. Wie einfach hatten sie
sich von Laurens Argumenten herumkriegen lassen, und
wie schnell hatten sie das Heft aus der Hand gegeben und
sich Lauren untergeordnet! Konnten zwei derartig unterbelichtete Gestalten wirklich eine Entführung aushecken? Warum hatten sie nur so wenig Geld erwartet? Lag es vielleicht
daran, dass sie gar nicht in eigenem Namen gehandelt hatten? Dass keiner von beiden der Kopf hinter alledem war,
sondern sie eben doch nur angeheuerte Schläger waren?
Es war so offensichtlich, dass ich fast lächelte. Die beiden
waren bezahlt worden, um Lauren zu entführen und gefangen
zu halten. Es war nicht beabsichtigt gewesen, sie am Lösegeld
zu beteiligen. Nicht, solange Lauren nicht mit ihrer eigenen
Idee herausgerückt war. Ja, so ergab das Ganze plötzlich Sinn.
»Lauren«, meinte ich daher. »So einfach wird das nicht.«
»O, und warum nicht?«, zwitscherte sie.
Ich erklärte ihr, was ich mir überlegt hatte. »Du hast die
ganze Zeit geglaubt, du hättest alles unter Kontrolle, weil du
nie jemand anderen außer Merv und Baz gesehen hast, und
die beiden Trottel haben dir aus der Hand gefressen. Aber
wenn man es genau bedenkt, muss es einen Hintermann
geben.«
Sie wurde unsicher. Ich fuhr fort, meine Argumente darzulegen. »Verdammt noch eins, Lauren! Das Einzige, was du
mit Sicherheit von Merv und Baz weißt, ist, dass sie dumm
sind wie Bohnenstroh! Sie nehmen Befehle von Leuten an,
von denen sie meinen, sie hätten Grips. Sie haben sogar von
dir Befehle angenommen. Sie werden angetrieben von dem
Gedanken an Geld. Als sie dich entführt haben, befolgten sie
die Befehle von jemandem, der alles geplant hat. Diese Person hat ihnen für ihre Begriffe eine Menge Geld geboten. Es
war eine Pauschale für ihre Dienste, kein Anteil am Lösegeld.
Du hast selbst gesagt, sie hätten keine Ahnung gehabt, wie
viel Lösegeld sie von deinem Stiefvater verlangen könnten.
Als du ihnen einen neuen Handel und drei gleiche Anteile am Geld angeboten hast, beschlossen sie, ihren alten Auftraggeber übers Ohr zu hauen. Wer auch immer bei deiner
Entführung die Fäden zieht, er glaubt wahrscheinlich, dass
du noch immer gefesselt und mit einem Tuch über dem
Kopf hier oben sitzt. Er wagt nicht, selbst herzukommen
und nachzusehen. Es wäre viel zu gefährlich. Er muss akzeptieren, was Merv und Baz ihm erzählen. Wenn Merv sagt,
dass du hier oben gefangen bist, bleibt Mister Unbekannt
keine andere Wahl, als ihm zu glauben.«
Laurens Zuversicht schwand sichtlich dahin, während ich
redete. »Aber … aber wer könnte das sein?«, fragte sie
schließlich.
»Wie steht es mit Copperfield?«, schlug ich vor. »Er
schuldet der Bank eine Menge Geld.«
Sie schüttelte vehement den Kopf. »Vergiss es! Jeremy
steckt ganz bestimmt nicht dahinter. Er hat viel zu viel
Schiss davor, wieder einen Fleck auf seine ehemals weiße
Weste zu bekommen. Er hatte vor ein paar Jahren ziemliche
Schwierigkeiten, weil er in ein paar undurchsichtige Geschäfte verwickelt war. Er kam mit einer Bewährungsstrafe
davon, aber er hat seitdem die Hosen gestrichen voll. Er will
im Kunsthandel bleiben. Er kann es sich nicht leisten, dass
sein Ruf noch mehr Schaden nimmt. Der würde ganz bestimmt kein krummes Ding mehr drehen: Er hat schon
Schweißausbrüche, wenn er eine Polizeiuniform aus der
Ferne sieht. Außerdem«, schloss
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