Granger Ann - Varady - 03
gegangen zu sein.
Ich klapperte die Treppe zu meiner Kellerwohnung hinunter, und Ganesh folgte mir auf dem Absatz, als er mich
plötzlich an der Schulter packte. »Warte, Fran!«, zischte er
scharf.
Ich verharrte mitten im Schritt und spähte angestrengt
nach unten. Die Treppe lag im dunklen Schatten einer Straßenlaterne, und das gelbliche Licht erreichte nur eine kleine
Ecke. Doch die Dunkelheit in der anderen Ecke schien
merkwürdig anders, dunkler und dichter. Während ich hinsah, erkannte ich einen Schatten, der sich gegen die Tür
drückte. Ich bewegte mich nicht und versuchte mir einzureden, dass es nur eine optische Täuschung war, ein Bild meiner Fantasie und weiter nichts.
Doch Ganesh war nicht von derartigen Zweifeln geplagt.
»Da ist jemand, Fran!« Seine Worte kamen als ein fast unhörbares Flüstern, dicht bei meinem Ohr. Ich erschauerte
und beugte mich über das Geländer.
»Mr Coverdale, sind Sie das? Ich bin es, Fran Varady, aus
dem Zeitungsladen. Ich habe Ihre Nachricht bekommen.«
Der Schatten antwortete nicht. Er – ich zweifelte keinen
Augenblick an Ganeshs Worten, dass es ein menschlicher
Umriss wäre – bewegte sich nicht. Die Stille hatte mit einem
Mal etwas Schreckliches. Selbst ein schlafender Körper in
einem Eingang strahlt eine Art Leben aus. Dieser Schatten
dort strahlte überhaupt nichts aus.
Langsam stieg ich die restlichen Stufen hinunter und
blieb abwartend stehen, unwillig, mich der Gestalt weiter zu
nähern. »Es tut mir Leid, dass ich mich verspätet habe«, sagte ich unsicher, weil ich eine menschliche Stimme hören
wollte, auch wenn es nur meine eigene war, und nicht, weil
ich eine Antwort erwartet hätte.
Ich erhielt auch keine. Eine Windbö strich über das Geländer, und der gelbe Lichtschein der Straßenlaterne erzitterte. Ein paar verspätet herabgefallene Blätter raschelten zu
meinen Füßen.
»Kann es vielleicht ein Betrunkener sein, der seinen Rausch
ausschläft?«, fragte ich Ganesh flüsternd. »Jemand, der geglaubt hat, einen guten Platz zum Schlafen entdeckt zu haben?«
Ganesh drückte sich an mir vorbei und ging zu der zusammengekauerten Gestalt. »Hey, Kumpel!« Er bückte sich
zu ihr hinunter. »Alles in Ordnung, Mann? Komm schon,
wach auf! Du kannst hier nicht schlafen, Freund.«
Er legte der Gestalt die Hand auf die Schulter und rüttelte
sanft. Langsam bewegte sie sich. Stoff glitt raschelnd über
die Wand, und sie kippte seitwärts und landete schlaff auf
dem Boden. Es war ein Mann, der dort reglos vor unseren
Füßen lag. Der Kopf des Fremden, der zuvor auf der Brust
geruht hatte, landete mitten in dem kleinen, von der Straßenlaterne erhellten Fleck. Auch wenn das Licht alles in ein
fahlgelbes Grau tauchte, erkannte ich das Gesicht sofort.
»Das ist Coverdale!«, ächzte ich.
Ganesh ließ sich auf die Knie und beugte sich über den
reglosen Fremden. Die langen schwarzen Haare fielen ihm
ins Gesicht, als er die Finger an Coverdales Hals legte und
nach dem Puls tastete. Schließlich riss er Coverdales Mantel
auf und fühlte nach dem Herzschlag.
Mit einem Mal zuckte er zurück, murmelte erschrockene
Worte und zeigte mir seine Hand. Selbst in der trüben Beleuchtung der Straßenlaterne konnte ich erkennen, dass seine Handfläche mit etwas Dunklem verschmiert war, und ich
wusste automatisch, um was es sich handelte.
Blut.
»Er ist tot, Fran«, sagte Ganesh mit bebender Stimme. »Wie
es aussieht, wurde er niedergestochen.«
KAPITEL 6 Wir gerieten zwar nicht in Panik,
Ganesh und ich, doch die Situation entwickelte sich rasch
zu einem nur noch halb kontrollierten Chaos. Ich rannte die
Treppe zu Daphnes Haustür hoch, läutete und rief durch
den Briefkastenschlitz, bis sie sichtlich aufgeschreckt öffnete. Ich war froh zu sehen, dass sie noch nicht zu Bett gegangen war; sie hatte ihre Lesebrille auf und sich in ihre regenbogenfarbene handgestrickte Jacke gehüllt.
»Fran! Was ist denn passiert?«
Angesichts der Tatsache, dass sie bereits in fortgeschrittenem Alter war, durfte ich nicht mit der Tür ins Haus fallen.
Doch der Fund eines Leichnams vor dem Kellereingang
kann nicht gerade mit behutsamen Worten vermittelt werden. Ich tat dennoch mein Bestes und berichtete ihr, dass es
einen Unfall gegeben hätte und ich unbedingt das Telefon
benutzen müsste.
»Brauchen Sie einen Krankenwagen?«, rief sie und riss
sich die Lesebrille herunter, um mich besser sehen zu können. »Was ist denn passiert, Fran? Wer ist verletzt?
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