Granger Ann - Varady - 03
Waffenstillstands, Fran«, mahnte Ganesh. »Die Leute vergraben das Kriegsbeil in der Erde und
nicht im Schädel ihrer Gegner. Das passiert nicht oft im
Jahr. Es ist wie bei den alten Griechen. Während der Olympischen Spiele haben sie keine Kriege geführt. Das hab ich in
einer Sonntagsbeilage gelesen.«
Mir war bereits aufgefallen, dass Ganesh, seit er im Kiosk
seines Onkels arbeitete, zu einer Quelle der merkwürdigsten
Informationen geworden war, die er aus einer Vielzahl der
unterschiedlichsten Magazine entnahm. Er wusste die Namen der besten Restaurants, die Modefarbe der Saison, wie
teuer eine Trekkingtour auf dem Kamel durch die Wüste
Gobi war, kannte die zehn bestgekleideten Männer der Welt
und die bestgehüteten Geheimnisse der Stars. Nichts davon
war für ihn auch nur von geringstem Nutzen, doch er sonnte sich in seinem Wissen und ließ mich daran teilhaben,
wann immer sich eine Gelegenheit dazu bot.
Über dem Essen berichtete ich ihm von Charlie Knowles’
Besuch und von seinen grotesken Avancen. »Ich konnte es
nicht fassen!«, sagte ich. »Ob er tatsächlich geglaubt hat, er
könnte …«
Ganesh schluckte seinen Bissen hinunter. »Reg dich nicht
unnötig auf. Er kannte dich schließlich nicht. Er hat gedacht, er könnte sein Glück versuchen.«
»Sein Glück war bei mir zu Ende.«
Ganesh wischte sich den Mund mit einer Serviette ab und
verkündete: »Diese beiden Kerle werden nicht eher Ruhe
geben, bis sie dich aus der Wohnung haben, Fran.«
»Erzähl mir doch etwas, das ich noch nicht weiß«, murmelte ich.
»Sei vorsichtig.«
»Bin ich je etwas anderes?« An dieser Stelle schob ich die
Hand in die Tasche, um ein Taschentuch herauszunehmen,
und berührte den Umschlag, den ich zuvor dort hineingesteckt und über meiner Begegnung mit dem wollüstigen
Charlie vergessen hatte.
Ich zog den Umschlag hervor und legte ihn auf den
Tisch. Ganesh starrte misstrauisch darauf und fragte: »Was
ist das?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. »Irgendjemand hat
ihn durch meinen Briefkastenschlitz geschoben, und ich hab
ihn nicht gleich gesehen, als ich nach Hause kam. Ich hatte
das Licht nicht eingeschaltet, und es war ziemlich düster
dort unten. Außerdem war ich in Gedanken bei den beiden
Zwillingen. Die beiden sahen so selbstzufrieden aus, wie sie
dort oben in Daphnes Wohnzimmer standen. Ich hab den
Umschlag erst gesehen, als ich zur Tür ging, um Charlie zu
öffnen.«
»Warum machst du ihn nicht auf?«, fragte er ungeduldig.
»Was steht drin?«
»Vielleicht ist es etwas Privates«, ermahnte ich ihn, doch
meine Finger hatten sich bereits selbstständig gemacht und
rissen den Umschlag auf.
Im Innern steckte ein einzelnes Blatt, aus einem Block gerissen und gefaltet. Darauf stand geschrieben:
Sie waren so freundlich, mir vor kurzem im Zeitungsladen
erste Hilfe zu leisten. Ich muss mit Ihnen reden. Ich werde
mich heute Abend um zehn Uhr bei Ihnen melden, falls das
nicht zu spät ist.
Mit freundlichen Grüßen,
Gray Coverdale
»Nun sieh dir das an!«, krächzte ich aufgeregt und tippte auf
den Zettel. »Du hast gesagt, der Film wäre nicht von ihm!
Ich habe gesagt, er war von ihm. Es gab gar keine andere
Möglichkeit! Weswegen sonst sollte er mit mir reden wollen? Gestern hatte ich das Gefühl, dass mich jemand auf
dem Nachhauseweg verfolgt! Es muss dieser Coverdale gewesen sein. Er wollte herausfinden, wo ich wohne!«
Ganesh sah auf seine Uhr. »Halb zehn ist gerade erst vorbei.«
»Auf was warten wir dann noch?« Ich sprang auf. »Los,
bitte um die Rechnung!«
Wir eilten zu meiner Wohnung, so schnell wir konnten,
doch es war trotzdem nach zehn, als wir dort angekommen
waren. Ich hoffte, Coverdale würde warten. Als wir in die
Straße einbogen, suchte ich die Bürgersteige ab, doch es
stand niemand herum, und keine fremden Wagen parkten
am Straßenrand. Der Wind pfiff kühl um meinen geschorenen Schädel, und Ganesh hatte den Hals tief im hochgeklappten Kragen seiner Jacke verborgen und die Schultern
hochgezogen.
»Sieht so aus, als wäre er schon wieder weg, Fran«, sagte er.
»Vielleicht ist er noch gar nicht da gewesen. Wir sind
höchstens zehn Minuten zu spät. Vielleicht wartet er unten
am Fuß der Treppe.«
Die Front von Daphnes Haus lag im Dunkeln. Das bedeutete nicht unbedingt, dass Daphne ausgegangen war oder bereits im Bett lag; wahrscheinlich saß sie in ihrem Arbeitszimmer, das nach hinten ging. Wenigstens schienen Charlie
und Bertie in der Zwischenzeit
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