Granger Ann - Varady - 03
interessiert das bisschen Honorar von Tig? Sie hat
kein Geld – es macht also keinen Sinn, wenn du versuchst,
es von ihr zu holen. Die Quayles werden glauben, dass du
von ihnen Geld willst – weil sie nach allem, was ich gehört
habe, einigermaßen wohlhabend zu sein scheinen. Also
werden sie erwarten, dass du von ihnen Geld für deine
Vermittlungstätigkeit verlangst. Sie werden dir nicht glauben, wenn du sagst, dass du nichts willst. Weißt du, was sie
denken? Vielleicht werden sie glauben, dass du Tig in einen
Keller gesperrt hast und nicht freilassen wirst, bevor sie eine
richtig große Summe ausgespuckt haben. Du fährst in diese
Stadt, wie heißt sie noch gleich?«
»Dorridge.«
»Bist du sicher, dass du keinen Fehler machst? Du
kommst in diesem Dorridge an und wirst direkt von einem
Empfangskomitee der Polizei abgeholt. Und wenn sie nicht
gleich zur Polizei rennen, so werden sie zumindest ihren
Anwalt anrufen. Weißt du, was du meiner Meinung nach
tun solltest? Du solltest Harford davon erzählen und ihn um
Rat bitten. Erzähl ihm auf jeden Fall, was du vorhast, damit
du Rückendeckung hast, falls die Quayles nicht so reagieren,
wie du es dir erhoffst.«
»Das kann ich nicht!«, rief ich erschrocken. »Nicht Harford! Er würde nur verächtlich die Nase rümpfen. Außerdem, was geht es ihn an? Und ich habe nicht Tigs Erlaubnis,
die Polizei ins Spiel zu bringen. Sie würde sie mir bestimmt
nicht geben. Sie würde einfach verschwinden, sobald ich die
Polizei erwähne.«
»Und was ist mit Parry? Er ist ein aufdringlicher Kerl, aber
er würde wissen, wie man sich in einem Fall wie diesem verhält. Hat die Polizei nicht oft mit vermissten Teenagern zu
tun? Hey, vielleicht ist es sogar illegal, wenn du der Polizei
nichts von Tig sagst.«
»Es ist nicht illegal, einfach zu verschwinden, wenn man
volljährig ist«, klärte ich ihn auf. »Und wenn eine Person
über sechzehn Jahre ist, unternimmt die Polizei ebenfalls
nichts mehr, es sei denn, die Umstände lassen auf eine Straftat schließen. Tig ist mit Sicherheit älter als sechzehn. Sie
war fünfzehn, als sie bei uns in der Jubilee Street gewohnt
hat, und das ist Monate her. Sie ist wahrscheinlich schon
siebzehn, und sie war immer nur eine gewöhnliche Ausreißerin. Es gibt Hunderte von ihrer Sorte da draußen, überall
im Land. Die Polizei hat bestimmt kein Interesse an einer
weiteren.«
Ganesh versuchte einen neuen Aspekt. »Vielleicht wollen
sie ihre Tochter nicht zurück. Sie hat ihnen eine Menge Ärger gemacht. Sie denken vielleicht, Tig hätte sie entehrt.«
»Ich denke nicht, dass sie sich um ihre Ehre sorgen, nicht
nach dem, was Tig erzählt. Sie machen sich vielmehr Sorgen
um ihre Respektabilität.«
»Das ist doch das Gleiche, oder nicht?«, entgegnete Ganesh. Ich gewann allmählich das Gefühl, wieder einmal an
einem Punkt angekommen zu sein, wo Ganeshs und meine
Kultur aufeinander prallten. Es geschah nicht häufig, aber
wenn es geschah, dann richtig.
»Hör zu«, sagte ich geduldig, »sie ist nicht vor einer arrangierten Hochzeit davongelaufen. Sie ist durchgebrannt,
weil sie den Druck nicht mehr ausgehalten hat, das ist alles.«
»Glaub nicht, ich wüsste nicht, was das bedeutet«, entgegnete Ganesh gereizt. »Du willst wissen, was familiärer
Druck ist? Frag mich. Bin ich vielleicht von zu Hause weggerannt, um auf der Straße zu leben?«
Das führte zu überhaupt nichts. Ich fragte, ob ich das Telefon benutzen durfte. Er sagte, kein Problem, und schlug
vor, dass ich nach oben gehen und von der Wohnung aus
telefonieren sollte. Im Laden waren keine Kunden, und er
würde solange alleine zurechtkommen. Ich glaube eher, er
hatte Kopfschmerzen und genug davon, mit mir über Tig zu
reden. Wenn ich unbedingt noch mehr Ärger wollte, dann
sollte ich nur weitermachen. Er wusch seine Hände in Unschuld.
Ich ging nach oben in die Wohnung und setzte mich vor das
Telefon, wo ich fünf Minuten lang überlegte, bevor ich genügend Mut zusammenbrachte, um die Nummer zu wählen, die Tig mir gegeben hatte. Es läutete mehrere Male, und
ich nutzte die Zeit, um mir ins Gedächtnis zu rufen, was ich
sagen wollte – und zu dem Entschluss zu gelangen, dass
nichts davon das Richtige war. Ich würde improvisieren
müssen.
Am anderen Ende der Leitung läutete es noch immer. Sie
waren ausgegangen. Meine Nervosität verflog. Ich stand im
Begriff, den Hörer aufzulegen, als es klickte und eine atemlose Frauenstimme sagte: »Hallo?
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