Granger Ann - Varady - 03
Wer ist da?«
»Oh, hallo«, sagte ich dümmlich. »Spreche ich mit Mrs
Quayle?«
»Ja …?« Die Stimme klang misstrauisch.
»Mein Name ist Fran Varady. Ich … ich bin eine Freundin von Tig … äh, Jane.«
Am anderen Ende war Schweigen. Ich konnte spüren, wie
sie um ihre Fassung rang und sich gegen das wappnete, was
ihrer Meinung nach kommen würde. Sehr vorsichtig fragte
sie: »Waren Sie mit ihr in der Schule?«
Ich begriff, worauf sie hinauswollte. Wenn ich eine alte
Schulfreundin war, die sich seit Jahren nicht mehr gemeldet
hatte, dann wusste ich vielleicht nicht, dass Jane von zu
Hause fortgegangen war. Und in diesem Fall konnte Mrs
Quayle irgendeinen Grund erfinden, aus dem Jane nicht da
war, und versprechen, ihrer Tochter Bescheid zu geben, dass
jemand für sie angerufen hatte.
»Nein«, sagte ich. »Ich rufe aus London an. Ich kenne Jane von hier.«
Ein Ächzen am anderen Ende der Leitung, dann ein
Schlag. Daran schloss sich ein so lang anhaltendes Schweigen, dass ich anfing zu befürchten, sie könnte ohnmächtig
geworden sein. Vorsichtig rief ich ihren Namen, und sie
antwortete zögernd.
»Es … es tut mir Leid, aber es war so ein Schock … Ich
musste mich setzen. Sie kennen Jane? Wo … warum ist sie
nicht selbst am Telefon? Geht es ihr gut?« Panik schlich sich
in ihre Stimme.
Falls ich nicht Acht gab, hatte ich in null Komma nichts
eine hysterische Mutter am anderen Ende der Leitung. »Es
geht ihr gut«, sagte ich fest. (Was nicht ganz gelogen war. Tigs
Situation war ernst, doch sie war unversehrt und gesund,
nicht abhängig von Drogen, und nach den auf der Straße
herrschenden Standards bedeutete das, es ging ihr gut.)
Mit bebender Stimme begann Mrs Quayle in einem
Tempo Fragen zu stellen, dass ich keine Chance gehabt hätte, auch nur eine zu beantworten, selbst wenn ich den Versuch unternommen hätte. »Wo ist Jane? Wie lautet ihre Adresse? Warum ruft sie nicht selbst bei uns an? Wer sind Sie?
Woher haben Sie meine Telefonnummer? Hat Jane …«
Endlich gelang es mir, ihren Redefluss zu unterbrechen.
»Mrs Quayle, es tut mir Leid, dass ich Ihnen solch einen
Schock zugefügt habe, aber wenn Sie mir ein paar Minuten
zuhören, werde ich versuchen, Ihnen alles zu erklären. Tig –
Jane möchte nach Hause zurück …«
»Aber natürlich! Selbstverständlich kann sie kommen. Sie
konnte immer …«
Ich räusperte mich laut, und Mrs Quayle verstummte.
»Es war ihr zu peinlich, sich selbst bei Ihnen zu melden,
deswegen bat sie mich darum. Mrs Quayle, Jane hat auf der
Straße gelebt. Die Dinge waren nicht leicht für sie. Das sollten Sie wissen.«
»Sie haben doch gesagt, es ginge ihr gut!« Die Stimme
klang misstrauisch.
»Es geht ihr auch gut, aber sie kann nicht … sie will nicht
mehr so weiterleben wie bisher.«
Mrs Quayle versetzte ihrem Gehirn einen Stoß, damit es
wieder normal arbeitete. »Steckt meine Tochter in irgendwelchen Schwierigkeiten?«, fragte sie mit scharfer Stimme.
»Falls Sie Schwierigkeiten mit dem Gesetz meinen, lautet
die Antwort nein«, sagte ich. »Aber das Leben war hart für Ihre Tochter, und sie will nicht ans Telefon kommen und Fragen über Fragen beantworten. Können Sie das denn nicht
verstehen?«
»Ich weiß nicht«, sagte Mrs Quayle. »Ich weiß nicht, wer
Sie sind. Ich weiß nicht einmal, ob Sie Jane wirklich kennen.«
Ich musste die einzige Karte ausspielen, die Tig mir gegeben hatte. »Sie hat mich gebeten, Ihnen alles Gute zum Geburtstag zu wünschen. Sie sagte, Sie hätten heute Geburtstag.«
Mrs Quayle stöhnte auf. Es war ein herzerweichender
Laut. Ich fühlte mich lausig. Ganesh hatte Recht gehabt. Ich
hätte Tig sagen sollen, dass ich diesen Auftrag nicht übernehmen könnte.
»Mrs Quayle?«, fragte ich. »Möchten Sie vielleicht zuerst
mit Ihrem Mann darüber sprechen? Ich kann später noch
einmal anrufen.«
»Oh, nein, bitte! Bitte legen Sie nicht auf!«
Nun war sie voller Angst, den einen indirekten Kontakt
wieder zu verlieren, den sie nach so langer Zeit zu ihrer
Tochter gefunden hatte. Sie wusste wirklich und wahrhaftig
nicht, was sie tun sollte, die arme Frau.
»Ich werde wieder anrufen«, versprach ich.
»Kann ich denn nicht Ihre Nummer haben? Kann ich Sie
nicht anrufen?« Sie geriet in Panik. »Hören Sie, Sie müssen
Jane sagen, dass sie selbstverständlich nach Hause kommen
kann! Daddy und ich …«
»Jane ist der Meinung, ich sollte Sie vorher besuchen,
Mrs Quayle. Es gibt eine Menge Dinge zu erklären. Sie ist
nicht
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