Granger Ann - Varady - 04
TOILETTEN.
»Nur einen kurzen Augenblick«, sagte ich zu Ben. »Ich
bin gleich zurück.«
»Was möchten Sie trinken?«, rief er mir hinterher, während ich in Richtung Toilette humpelte.
Ich rief zurück, dass ich gerne einen Kaffee hätte. Irgendetwas Heißes. Es war die Sorte Pub, wo es Kaffee und auch
etwas zu essen gab. Ich blickte mich eingehender um, als ich
von meinem Zwischenstopp auf der Toilette zurückkehrte.
Es war ein besseres Lokal für die gut situierte Klientel aus
dieser Gegend und Touristen, die hierher kamen, um die
berühmten Kew Gardens zu besuchen. Es war makellos sauber, und die Tische glänzten. Jeder Tisch war mit einer kleinen Messingscheibe versehen mit einer Nummer darauf,
und über der Bar hing ein Display, auf dem zu lesen stand,
was man bestellt hatte. Ringsum an den Wänden ein Touch
Kultur, Regale mit Büchern darin. Ein rascher Blick auf die
Rücken verriet mir, dass sie wahrscheinlich vom Ramsch
stammten und als Partieware gekauft worden waren. Jedes
Thema wurde behandelt, angefangen bei alten Liebesromanen von der Kategorie Mazo de la Roche bis hin zu uralten
Lehrbüchern über Medizin und Physik. Ich fragte mich, ob
je irgendjemand eines der Bücher zur Hand nahm, um darin zu lesen.
Zu dieser frühen Abendstunde jedenfalls waren erst wenige Gäste im Lokal. Und diejenigen darunter, die Notiz
von mir nahmen, musterten mich missbilligend, genau wie
der Barmann unter seinem flackernden Display. Sein Name,
Josh, war auf einem Schild an sein Hemd geheftet, und er
sah noch mehr wie ein Yuppie aus als seine Kundschaft.
Hey, Josh, hätte ich am liebsten gerufen. Ich komme aus
Rotherhithe, wo die Stammgäste auch ohne schickes Schildchen wissen, wie der Bursche hinter dem Tresen heißt, und
wo man keinen Computer braucht, um zu wissen, was die
Kundschaft bestellt hat! Bei uns haben sie helle Köpfchen,
wenn es ums Zusammenzählen der Rechnung geht. Sie haben richtige Namen wie Ron oder Frank, und sie gehen zum
Gewichtheben. Und das müssen sie auch.
Joshs Meinung von mir entsprach offensichtlich meiner
Meinung von ihm. Ich genügte dem Anspruch seines Etablissements nicht. Vielleicht hätte er mich aufgefordert zu
verschwinden, wäre ich nicht in Begleitung von Ben aufgetaucht, der mit einer Flasche Lager vor sich auf mich wartete. Eine Tasse Kaffee vor meinem Stuhl sandte dampfende
Wölkchen in die Höhe.
»Danke«, sagte ich und packte die Tasse mit beiden Händen, um die Wärme in mir aufzusaugen. Die Tür ging auf,
und ein weiteres Paar trat ein. Die Frau trug einen langen
Kunstpelz und ihr Begleiter einen Trenchcoat. Beide sahen
aus, als wären sie eben vom Shoppen bei Harrods zurück.
Vielleicht waren sie tatsächlich dort gewesen. Der Barmann
beeilte sich, sie mit ausgesuchter Freundlichkeit zu bedienen. Sie warfen einen Blick in meine Richtung, und Josh
flüsterte ihnen etwas zu. Ich war sicher, dass er sich für meine Anwesenheit entschuldigte.
»Sie sehen ziemlich nass aus, Fran«, sagte Ben in diesem
Augenblick. »Wie lange haben Sie dort draußen gestanden?«
Er schien sich zu amüsieren. Ich schätzte, dass er das lautlose Duell zwischen mir und Josh dem Barmann bemerkt hatte und verfolgte.
Ich gestand, dass ich bereits seit geraumer Zeit gewartet
hätte. Ich hatte mir Mühe gegeben, mich auf der Damentoilette vor dem Heißlufttrockner ein wenig herzurichten,
doch der Erfolg war lediglich marginal.
Er sagte nichts dazu. Er wartete, bis ich meinen Kaffee getrunken hatte und Anzeichen machte, wieder zu normaler
Körpertemperatur zurückzukehren. »Möchten Sie etwas essen?«, fragte er dann.
Ich sagte ihm, dass es nicht nötig wäre, doch er glaubte
mir nicht.
»Ich glaube, Sie sollten etwas essen.« Seine Stimme klang
leise und bestimmt.
Ich gab ohne große Gegenwehr nach. Ich war ausgehungert. Die Speisekarte stand auf dem Tisch, und die angebotenen Speisen passten zum Etablissement. Ich wählte das am
wenigsten fantasievoll benannte Menü, den Hamburger
Spezial mit Pommes frites.
Ben ging zur Bar und bestellte. Ich kramte in meinen Taschen nach Geld, als er zurückkam, doch er winkte ab.
»Kein Problem. Erzählen Sie mir nur, was das alles zu bedeuten hat.«
Er verlangte das Unmögliche. Wie sollte ich einem Fremden irgendetwas von alledem verständlich machen? Wenn
ich den Dingen einen Schritt voraus gewesen wäre, hätte ich
dies alles vielleicht besser im Griff gehabt. Doch das hatte
ich nicht – nicht mehr, seit Jerry wusste, dass ich auf
Weitere Kostenlose Bücher