Granger Ann - Varady - 05
schien die Grimmigkeit zu
schmelzen, und er sagte freundlich: »Oh, du bist es, Fran.
Hast du noch Bestellungen?«
»Im Augenblick nicht, nein«, antwortete ich. »Ich dachte,
ich räum die Spülmaschine ein.«
Unter der neuen Geschäftsführung hatte das Lokal einen
automatischen Geschirrspüler erhalten. In den Tagen des
Hot Spud Café hatte eine Aushilfskraft gespült. Irgendwann
hatte Jimmie einen mittellosen Künstler namens Angus eingestellt, der die Arbeit machte. Dann war Angus wieder gegangen, um sein Glück in sonnigeren Ländern mit dem
Verkauf von Bildern an Touristen zu versuchen. Bevor er
gegangen war, hatte er zu mir gesagt: »Was auch immer ich
in Europa verdiene, es ist bestimmt nicht weniger als das,
was Reekie Jimmie mir hier bezahlt, nur dass ich in der
Sonne leben werde, was Camden bei weitem schlägt, soweit
es mich angeht.«
Ein selten nüchternes altes Wrack hatte seinen Job im Café übernommen. Ich vermutete insgeheim, dass Jimmie dem
Alten noch weniger Geld zahlte als Angus.
Der gleiche alte Saufbruder arbeitete nun am frühen
Morgen als Auskehrer und Toilettenmann im San Gennaro.
Der einzige Grund, warum er den Job noch immer hatte,
war, dass Jimmie – völlig überraschend – darauf bestanden
hatte. Es war, schätze ich, das einzige Mal, dass er mit Silvio
gefeilscht und gewonnen hatte.
»Ich habe Silvio gesagt, dass er dem armen alten Kerl einen Job geben muss«, hatte Jimmie mir anvertraut. »Der
Bursche braucht das Geld. Es ist …«, Jimmie hatte nach einem Weg gesucht, es zu erklären. »Es ist alles, was der Alte
hat, okay? Seine Arbeit hier. Ich habe Silvio gesagt, du kannst
sie ihm nicht wegnehmen.«
Das war der Grund, aus dem ich mich um Jimmie sorgte.
Er war ein schlechter Koch und schlechter Geschäftsmann,
und den Zustand seiner Fingernägel musste man mit eigenen Augen sehen, um es zu glauben, doch er hatte einen anständigen Kern. Leute wie ihn gibt es nicht viele auf der
Welt, in der ich lebe.
Ich ging zum Abfalleimer und machte mich daran, Essensreste von den Tellern zu kratzen, bevor ich sie in die
Maschine räumte. Das machte ich immer so, genau wie PoChing. Bronia machte sich nie die Mühe. Sie stellte einfach
alles in die Maschine, und wir mussten ständig den Siebeinsatz reinigen, wenn ihre Schicht zu Ende war. Von meiner
Position am Abfalleimer aus konnte ich an Mario vorbei
durch die offene Tür und in den Hinterhof sehen.
Draußen stand ein Junge. Er konnte nicht älter als sechzehn sein. Seine kurzen dunklen Haare waren vom Regen
klatschnass und klebten am Kopf. Er besaß glänzende
schwarze Augen wie in einem alten Heiligenbild, riesig in
einem kleinen Gesicht mit vorspringendem Kinn. Sein Pullover war viel zu groß für ihn und seine Jeans zu lang; der
Saum stand auf den Knöcheln auf. Seine Turnschuhe waren
schmutzverkrustet. Er sah aus wie die sprichwörtliche ersäufte Ratte. Trotz des erbärmlichen Äußeren und der Tatsache, dass er vor Kälte zitterte, hatte er etwas Entschlossenes an sich. Er hatte eine Schimpfkanonade von Mario über
sich ergehen lassen müssen und trotzte ihm dennoch.
»Ich will mit Max reden«, sagte er. Sein Akzent war ziemlich stark, und ich schätzte, dass sein Vokabular nicht über
das absolut Notwendige hinausging. Die Art und Weise, wie
er sprach, legte den Gedanken nahe, dass er den Satz viele
Male wiederholt hatte, hartnäckig und ohne viel Hoffnung.
»Es gibt keinen verdammten Max hier!«, brüllte Mario.
»Wie oft soll ich dir das noch sagen? Und jetzt verschwinde
endlich!«
Er trat zurück und schlug dem Jungen die Tür vor der
Nase zu. Ich bekam den Kopf nicht schnell genug runter zu
meinem Geschirr, und Mario bemerkte meinen neugierigen
Blick.
»Der Junge wollte ’nen Job«, sagte er kurz und knapp.
»Oh«, erwiderte ich und ging zum Geschirrspüler.
Po-Ching, die an diesem Tag die Spätschicht hatte, aber
schon früher gerufen worden war, um mir zu helfen, rettete
die Situation, indem sie mit einer Bestellung über zwei Neapolitana mit Salat sowie Cannelloni mit Knoblauchbrot in
die Küche kam. Wir machten nicht nur Pizza, wir hatten
auch noch eine Reihe anderer Gerichte auf der Karte.
Mario ging zu seinem Pizzaofen und machte sich an die
Arbeit. George beschäftigte sich derweil mit den Cannelloni.
Ich ging nach vorne ins Lokal, und weil niemand mehr eine
Bestellung aufgeben wollte, schlenderte ich hinter die Theke
zu Luigi, um ihm beim Verstauen der Gläser in den Regalen
und der
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