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Granger Ann - Varady - 05

Titel: Granger Ann - Varady - 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Und hute dich vor deinen Feinden AEA4CEC7
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Absperrung,
und Steinböcke wanderten in ihrem Gehege am anderen
Ufer des Kanals hin und her. Familien waren dort unterwegs. Kleine Kinder in bunten Jacken und Wollmützen
sprangen durch die Pfützen am Leinpfad. Menschen führten
ihre Hunde aus. Wie schön alles aussieht, dachte ich, und
wie viel schöner die Dinge doch sind an einem sonnigen
Tag. Warum zerbrach ich mir den Kopf wegen Jimmie und
der Pizzeria? Es war nichts falsch. Es waren nur die kurzen
grauen Wintertage, die meine Fantasie zum Überschäumen
gebracht hatten. Ich kam zu dem Schluss, dass ich unter einer Form von Winterdepression litt, bei der der Mangel an
Sonnenlicht einen dazu bringt, alles in den dunkelsten Tönen zu sehen, und das Sich-Elend-Fühlen zum Alltag gehört.
Nicht so an diesem Tag. An diesem Tag war alles in bester
Ordnung. Selbst Ganesh schien die Auswirkungen des falschen Achtundvierzig-Stunden-Frühlings zu spüren. Er zog
ein Blatt Papier aus der Tasche und sagte schüchtern: »Ich
habe ein paar neue Sachen geschrieben.«
Ganesh ist ein guter Poet, doch es war schon eine ganze
Weile her, dass er mir etwas von seinen Arbeiten vorgelesen
hatte.
»Großartig«, sagte ich. »Ich habe schon geglaubt, du hättest aufgehört zu schreiben.«
»Nein, ich hatte nur nicht die Zeit. Hari gönnt mir keine
Verschnaufpause. Bedien diesen Kunden, pass auf diese
Kinder auf, öffne diese Verpackungen, tu das in die Regale,
sortier die Zeitungen, geh zum Großhändler …« Ganesh
stieß einen Seufzer aus. »Und jetzt mache ich auch noch bei
eurem Stück mit.«
Voller Bestürzung entschuldigte ich mich. »Das ist meine
Schuld, Gan. Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass du so …«
»Nein, nein, es ist ganz und gar nicht deine Schuld, Fran!
Es tut gut, mal an etwas anderes denken zu können. Hari ist
so scharf auf das Stück, dass er mir allmählich auf die Nerven geht mit seinen Fragen. Er redet immer wieder davon.
Man könnte glauben, dass wir im West End auftreten!«
»Er ist nur stolz auf dich.«
»Hah!«, sagte Ganesh. »Wenn er mir ein wenig freie Zeit
lassen würde, damit ich meinen Text lernen kann, das wäre
schon was. Möchtest du dir jetzt anhören, was ich geschrieben habe?«
Er las mir die Zeilen laut vor, während wir weiterspazierten. Das Wasser kräuselte sich im Kanal, und die Hausboote
schaukelten sanft an ihren Stegen. Ich dachte, wenn das Leben jeden Tag so wäre, dann wäre es wunderbar. Einfach nur
mit einem guten Freund zusammen sein und über Dinge reden, die wirklich wichtig sind für einen, und so tun, als wäre
man – fast – auf dem Land und nicht in einer Millionenstadt.
»Danke, dass du es mir vorgelesen hast«, sagte ich, als er
fertig war und das Blatt wieder einsteckte. »Ich bin froh,
dass du etwas Neues geschrieben hast. Es ist ein Talent, und
du solltest es nicht verkümmern lassen.«
Ich dachte an Susie und fragte mich, ob nun der geeignete Moment war, um Ganesh von den Fahrstunden zu erzählen, die sie mir angeboten hatte. Ich entschied mich dagegen. Ganesh hatte Vorbehalte gegen Susie Duke, und ich
vermutete, dass er nicht gerade erfreut reagieren würde,
wenn er erfuhr, dass sie sich wieder bei mir gemeldet hatte
und dass ich mich weiter mit ihr treffen würde, um Fahren
zu lernen. Warum sollte ich diesen schönen Nachmittag mit
kleinlichem Gezänk verderben? Abgesehen davon hatte ich
meinen vorläufigen Führerschein noch nicht bekommen.
Eine ferne Stimme aus meiner Vergangenheit hallte in
meinem Kopf wider. Ich identifizierte sie als die von Schwester Mary Joseph, und kurz sah ich sie vor meinem geistigen
Auge mit ihrem schwarzen, weiten Rock, dem NavyCardigan und ihrem Schleier. Sie trug eine rahmenlose Brille
mit runden Gläsern von der Sorte, wie John Lennon sie getragen hatte, und wenn sich das Licht darin fing, konnte
man ihre Augen nicht mehr sehen, nur zwei glänzende
Scheiben. Sie litt an entzündeten Fußballen, und ihre braunen Schnürschuhe waren erstaunlich verformt; ihre Füße
erinnerten an Rosskartoffeln. Sie vertrat bei ihren Schülern
die Meinung, dass man nicht reden solle, es sei denn, man
hatte wirklich etwas zu sagen.
»Reden ist Silber, Schweigen ist Gold«, predigte sie uns
immer wieder.
Wir starrten sie an, Sechsjährige, völlig außerstande zu
begreifen, was die Worte bedeuteten, doch wie verzaubert
von ihnen. Ich wiederholte sie auf dem gesamten Nachhauseweg, und noch viele Jahre danach hatte ich ein Bild von
Schwester Mary Joseph, die etwas

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