Granger Ann - Varady - 05
mir gerade gegeben.«
»Hey, das darf er nicht!«, protestierte ich wütend. »Er muss
meine Post durch den Briefkastenschlitz schieben!«
»Ja, sicher. Ich hab ihm gesagt, ich würde hier wohnen,
okay? Komm schon, Fran, stell dich nicht so an. Mach dich
fertig. Lass uns das Eisen schmieden, solange es heiß ist.«
Was war nur los mit ihr an diesem Tag? Hatte sie ein
Sprichwortlexikon zum Frühstück verschluckt?
»Ich muss um halb zwölf auf der Arbeit sein«, entgegnete
ich, fest entschlossen, die Kontrolle zurückzugewinnen.
»Und was machst du bis dahin? Es ist reichlich Zeit. Wenn
du nicht mit mir kommst und Fahren übst, kriechst du doch
nur wieder in dein Bett und schläfst bis zur letzten Minute!«
Womit sie natürlich völlig recht hatte.
»Ich mache uns eine Tasse Tee«, fuhr sie wohlmeinend
fort, indem sie erneut auf meinen häuslichen Befindlichkeiten herumtrampelte. »Du gehst inzwischen duschen und
siehst zu, dass du wach wirst. Du musst hellwach sein hinter
dem Steuer.«
In mir regte sich der Verdacht, dass Susie als Freundin
auf Dauer ziemlich ermüdend werden konnte. Mit ihr zusammenzuarbeiten sah immer weniger nach einer Option
aus. In dieser Hinsicht musste sich Ganesh keine Sorgen
machen, schätzte ich. Ich sah mich noch lange nicht als Ermittlerin für die Duke Detective Agency.
Susie war in die Kitchenette marschiert und hatte auf
dem Weg dorthin einen Blick in die offene Dusche erhascht.
»Meine Güte!«, rief sie ehrfürchtig aus. »Wann willst du das
denn tragen, Fran?«
Sie meinte das Kostüm, das noch immer in der Dusche
hing.
»In unserem Stück«, antwortete ich. Ich streckte die
Hand aus, um es von der Leine zu nehmen, und trug es ins
Wohnzimmer. Es war trocken. Ich hätte es bügeln sollen,
solange es noch feucht gewesen war. Jetzt würde ich es erneut nass machen müssen. Alles in allem war es jedoch ganz
gut sauber geworden.
Susie befingerte voller Ehrfurcht das Material. »Das ist
ein echter Qualitätsfummel, Fran … oder war es zumindest,
vor hundert oder mehr Jahren.«
»Du glaubst, es ist echt?« Ich war interessiert. »Ich dachte
mir schon, dass es vielleicht echt sein könnte. Es stammt aus
der Kostümtruhe im Pub.«
Susie schüttelte den Kopf. »Es ist definitiv echt. Sieh nur,
es hat ein eingenähtes Etikett.«
Ich gestand, dass ich das Etikett ebenfalls gesehen hatte
und dass ich den Namen nicht kannte.
»Ich schon«, sagte Susie. »Charles Worth war zu seiner
Zeit richtig berühmt. Später ist sein Sohn in seine Fußstapfen getreten. Beide, besonders Charles, waren in viktorianischer Zeit berühmte Schneider. Sie kleideten die gekrönten
Häupter Europas ein.«
»Was denn, nur die Häupter?« Ich konnte mir die dämliche Bemerkung einfach nicht verkneifen.
Susie tat mir den Gefallen und ignorierte sie. »Denk nur,
Fran, dieses Kleid wurde vielleicht von einer Herzogin getragen!«
»Und jetzt werde ich es tragen – das heißt, sobald ich es
gebügelt habe.«
Susie war entsetzt. »Bügeln? Um Gottes willen, du wirst
es ruinieren! Ich nehme es mit und mangele es für dich, wie
es sich gehört. Ich habe früher in einer Boutique gearbeitet.
Ich weiß, wovon ich rede.« Sie befingerte das Oberteil. »Es
ist eine Schande, dass irgendjemand das Fischbein herausgenommen hat. Sieh nur, diese kleinen Kanäle im Stoff, dort
haben sie gesteckt.« Sie wandte sich den Keulenärmeln zu.
»Die hier muss man mit Papier ausstopfen, bevor man mit
dem Eisen darübergehen kann.«
Ich war froh über ihr Angebot und nicht traurig darüber,
dass das Fischbein verschwunden war. Sie war noch immer
mit dem Kostüm beschäftigt, als ich aus der Dusche kam.
»Sieh nur, Fran, wie der Rock geschneidert ist! Jedes Stück
ist diagonal zugeschnitten und sitzt perfekt! Es ist ein wunderschönes Kleid! Schau dir nur die Nähte an, alle von Hand!«
»Susie«, bettelte ich. »Wenn wir diese Fahrstunde machen
wollen, dann lass uns bitte damit anfangen. Du kannst deinen Vortrag über das Schneiderhandwerk jemand anderem
halten.«
Erst als ich in den Wagen gestiegen war, fiel mir ein, dass
ich an diesem Morgen früher in der Pizzeria hatte sein wollen, um mit Wally zu reden. Jetzt würde ich meine Unterhaltung auf einen anderen Tag verschieben müssen. Es war nicht
Susies Schuld. Ich hätte es so oder so vergessen. Normalerweise vergesse ich meine Pläne nicht. Dafür gab es wohl psychologische Gründe. Ich verdrängte Ion und seine Suche
nach Max aus meinem Gedächtnis. Ich wollte
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