Granger Ann - Varady - 05
durch niedrige Ziegelmauern von
der Straße abgegrenzt sind. Unser Haus hatte außerdem eine widerspenstige Ligusterhecke. Ich bin keine Gärtnerin,
aber weil die Hecke vor meinem Fenster wuchs, ging ich
raus und schnitt sie zurück, sobald ich eingezogen war. Ich
glaubte, meine Sache gut gemacht zu haben, doch danach
hat sie sich kaum noch erholt. Früher einmal hatte es wahrscheinlich ein Tor gegeben, doch das war längst verschwunden. Jedes der beiden Häuser war in mehrere Wohnungen
unterteilt, und die Stiftung vermietete sie zu niedrigen Preisen an Leute, die wenig Chancen hatten, eine anständige
Wohnung zu finden, aber dennoch ihrer Einschätzung nach
einen Neuanfang verdient hatten. Ich bekam meine, weil
meine vorherige Wohnung durch einen Wasserrohrbruch
unbewohnbar geworden war und ich in eine Garage hatte
ziehen müssen und weil meine Mutter in einem Hospiz gestorben war, das einer Nonnenstiftung gehörte.
Erwin sagt, dass er nicht weiß, warum er seine Wohnung
bekommen hat, und schreibt es einer kurzen Episode als
Messdiener in jüngster Jugend zu. Ich nehme an, seine Kirchenkarriere endete nach einem Zwischenfall mit einem
Weihrauchfass, bei dem ein Prälat zu Besuch gewesen war.
Weil Erwin und ich Wohnungsnachbarn sind, haben wir
eine flüchtige Bekanntschaft geschlossen. Es gibt zwei weitere Wohnungen auf der Etage darüber und eine im ausgebauten Dachgeschoss. Ich weiß nur wenig über die Mieter,
aber ich kenne sie, weil sie durchs Treppenhaus und den
Flur laufen, wenn sie rauswollen. Das ist so ungefähr schon
alles. Gelegentlich, wenn ich nach Hause kam, war einer im
Flur am Münztelefon, und wir nickten uns zu. Hin und
wieder nahm ich einen Anruf entgegen, doch er war jedes
Mal für einen der Bewohner der oberen Etagen. Dann stieg
ich die Treppen hinauf und klopfte an die entsprechende
Tür. »Für Sie!« Es war extrem ärgerlich, wenn das passierte.
Weil Erwin und ich im Erdgeschoss wohnten, schienen die
anderen zu glauben, dass wir automatisch diejenigen waren,
die ans Telefon gingen. Ich beschwerte mich bei Erwin darüber, und er empfahl mir, es einfach klingeln zu lassen.
»Irgendwann werden sie schon kapieren, dass du nicht
rangehst, und dann kommen sie selbst nach unten.«
»Aber es könnte für mich sein!«, erwiderte ich.
»Leg dir ein Handy zu«, lautete sein Rat.
Die Bewohner der beiden Kellerwohnungen bekam ich
kaum je zu Gesicht. Gelegentlich hörte ich Schritte unter
meinem Fenster und sah rechtzeitig nach draußen, um einen
Haarschopf zu entdecken, der gleich wieder verschwunden
war. Sie waren hermetisch von uns abgeschlossen. Ich habe
selbst in einer Kellerwohnung gewohnt, und ich weiß, wie
das ist.
Es mag unfreundlich klingen, aber wir alle, die wir im
Haus wohnten, waren irgendwann obdachlos gewesen. Einige Mieter, wie ich, hatten in besetzten Häusern gelebt.
Andere wahrscheinlich auf der Straße. Wenn man so leben
muss, lernt man, die Privatsphäre des anderen zu respektieren. Gott weiß, dass man nichts anderes hat. Es war alles
andere als ein Studentenwohnheim voll fröhlicher Streiche
während des Semesters und Partys bis zum Sonnenaufgang.
Die meisten von uns waren zum ersten Mal seit ihrer Kindheit in einem richtigen Zuhause. Für Erwin, der einen
Großteil seiner Kindheit unter den Fittichen der Fürsorge
verbracht hatte und zwischen verschiedenen Heimen und
Pflegeeltern hin und her geschoben worden war, bedeutete
die eigene Wohnung noch mehr als das. Wir bewachten unsere persönlichen Reviere sehr streng.
Das war auch der Grund, warum es an mir nagte, als Susie hereinplatzte und uneingeladen in mein Wohnzimmer
trottete. Ich stand an der Tür und starrte sie frostig an. Es
war Zeitverschwendung.
»Hallo Fran!«, zwitscherte sie. »Du siehst aus, als wärst du
rückwärts durch eine Hecke geschleift worden! Warst du die
ganze Nacht auf?«
»Nein«, antwortete ich. »Aber es ist anstrengend. Ich habe den Job im Restaurant und muss meinen Text für das
Stück lernen; außerdem helfe ich hin und wieder im Zeitungsladen aus und das alles.«
»Du musst Gas geben, solange du jung bist«, bemerkte
Susie philosophisch. »Wenn man älter wird, stellt man fest,
dass man stehen geblieben ist, und dann ist es verdammt
schwierig, wieder in Gang zu kommen. Bist du bereit zu
deiner ersten Fahrstunde?«
Ich sagte ihr, dass meine vorläufige Fahrerlaubnis noch
nicht angekommen sei.
»Doch, ist sie.« Sie hielt einen Umschlag hoch. »Der
Postbote hat sie
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