Granger Ann - Varady - 05
Produktion geworden. Martys Skript, obwohl schwierig zu entziffern, war nicht schlecht. Er hatte Talent als
Drehbuchautor. Ich hoffte für ihn, dass er eines Tages mit
seiner eigenen Arbeit erfolgreich sein würde und nicht immer nur mit Adaptionen von bekannten Stücken, um jemanden wie Freddy zufrieden zu stellen.
Das Dumme war, im wirklichen Leben ging nichts ohne
Kompromisse, und darin war ich nie gut gewesen. Ich
schrieb das meinem ungarischen Blut zu. Wir Magyaren geben uns nie mit weniger zufrieden als dem, was wir wirklich
wollen. Alles oder nichts lautet unser Motto. Wir waren
schon immer die Kavallerie, die den Gegner frontal angegriffen hat. Großmutter Varady war überzeugt davon gewesen, dass man sich jedem Problem aufrecht stellen musste.
Als ich von der Schule gejagt wurde, hatten wir sie festhalten
müssen, damit sie nicht losmarschierte, um der Schulleiterin zu sagen, was sie von ihr hielt, und darauf zu bestehen,
dass ich sofort wieder aufgenommen wurde.
Dann hatte es eine Situation gegeben, wo ich von einem
Wagen vom Fahrrad gestoßen worden war. Am Steuer hatte
jemand gesessen, der gerade erst im Land eingetroffen war
und sich noch nicht mit unseren Verkehrsregeln auskannte,
wie beispielsweise auf der linken Straßenseite zu fahren. Ich
wurde in einem Streifenwagen nach Hause gebracht. Der
Unglücksfahrer, der mich umgerempelt hatte, folgte hintendrein, um sich zu entschuldigen und den Vorfall zu erklären. Der arme Kerl, er war total aufgeregt gewesen. Er
hatte seit mehr als zwanzig Jahren den Führerschein und nie
einen Unfall gehabt. Er war erst seit vierundzwanzig Stunden im Land. Ich war unverletzt. Dad war bereit, dem Fahrer zu verzeihen. Die Polizei wollte keine Anzeige erstatten.
Doch Großmutter Varady ging fast durch die Decke. Mit
dem Ergebnis, dass der Fahrer seine Entschuldigung zurücknahm und widerspenstig wurde. Die Polizei wurde ebenfalls gemein. Dad versuchte zu intervenieren und bezog dafür
von allen Seiten Prügel. Ich war wegen alledem so verlegen,
dass ich mich davonstahl, während alle anderen wütend
aufeinander einredeten, und mich für den Rest des Tages
nicht mehr zu Hause blicken ließ. Großmutter hatte nicht
unrecht gehabt, weil das Vorderrad meines Fahrrads verbogen und nicht mehr zu gebrauchen war. Doch wie Sie sehen,
ermahnte mich nichts an meiner Erziehung dazu, den
Standpunkt eines anderen ohne einen anständigen Streit zu
akzeptieren oder all die kleinen Kompromisse im Leben
einzugehen, die erforderlich sind, um mit den Leuten auszukommen, die man Tag für Tag trifft. Das ist das Risiko bei
›Alles oder Nichts‹. Am Ende steht man vielleicht mit nichts
in den Händen da.
Wir hatten einen ausnehmend guten Abend in der Pizzeria,
und das vertrieb sämtliche anderen Gedanken aus meinem
Kopf. Im Wirrwarr zwischen Lokal und Küche hoffte ich,
dass Susie vergaß, dass wir morgen zu einer frühen Fahrstunde verabredet waren. Ich hatte noch weniger Lust weiterzumachen als vorher, zumindest im Augenblick. Das war
noch etwas, worüber ich ausgiebiger hätte nachdenken sollen, bevor ich eingewilligt hatte. Doch als wir uns nach Feierabend draußen vor der Pizzeria voneinander verabschiedeten, richtete sie einen pinkfarben lackierten Fingernagel
auf mich und sagte: »Sechs Uhr morgen früh. Ich hole dich
ab.«
»Oh, großartig«, murmelte ich.
»Hey!«, sagte Luigi und materialisierte sich wie aus dem
Nichts in einer schicken Jacke mit hochgeschlagenem Kragen. Er klimperte mit den Wagenschlüsseln. »Ich bring dich
nach Hause, Susie.«
Mir bot er nicht an, mich mitzunehmen. Ich ging zu Fuß.
Vergessen Sie den Sonnenaufgang und Lerchengesänge.
Sechs Uhr in der Früh Ende Februar ist keine angenehme
Zeit zum Aufstehen, jedenfalls nicht in London.
Susie erschien vor meiner Haustür, gekleidet in eine
pinkfarbene Jacke mit Puffärmeln und eine Wollmütze. Sie
barst vor Tatendrang.
»Wie ist es mit Luigi gewesen gestern Abend?«, fragte ich.
»Nachdem er dich nach Hause gefahren hat, meine ich.«
Susie sah mich unschuldig und aus großen Augen an. »Er
hat mich nach Hause gefahren, das ist alles. Ich habe ihm
gesagt, ich sei wirklich müde. Ich habe ihn nicht auf einen
Kaffee mit nach oben genommen, falls es das ist, was du
meinst.«
Ach tatsächlich?, schnarrte meine innere Stimme. Nun, es
war Susies Problem, nicht meins. Sie war für sich selbst verantwortlich.
Der nächtliche Himmel über uns leuchtete in jenem fahlen Orange, das von den
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