Granger Ann - Varady - 05
angestanden, nicht nur für die großen Filme,
sondern für jeden Film, hat Mum erzählt. Eines Tages wurde das Kino dann ganz geschlossen. Die Kinos veränderten
sich. Sie mussten sich verändern, wenn sie überleben wollten. Dieses alte Kino erfüllte die modernen Sicherheitsvorschriften nicht, und es hatte nur die eine Leinwand. Es hätte
eine Menge Geld gekostet, einen modernen Multiplex daraus zu machen mit allem, was dazu gehört. Selbst wenn sie
es umgebaut hätten, nehme ich an, dass es nichts genutzt
hätte. Es war redundant geworden. Mum hat längst nicht
mehr hier gearbeitet, als es geschlossen wurde, aber ich erinnere mich noch gut daran, wie traurig sie deswegen war.
Das ist der Grund, warum dieses alte Gebäude für mich so
etwas wie ein Freund ist.«
Ich rappelte mich auf die Beine und ging zu der Projektionsöffnung. Ich steckte den Kopf hindurch. In der Dunkelheit knarrte etwas und erfüllte mich kurz mit Panik, dass
der Fahrer zurück und in das Gebäude eingedrungen sein
könnte; doch es war nur das Gebälk. Die Luft roch abgestanden und muffig, war voller Staub und überladen mit
den Resten von Zigarettenqualm aus der Zeit, da jeder im
Kino fröhlich vor sich hin geraucht hatte. Ich stellte mir Susies Mutter in ihrer Uniform vor, wie sie mit dem Bauchladen und der Taschenlampe durch die Reihen ging, und ihre
Tochter Susie, die Jahre später mit ihrer kleinen Taschenlampe und einem Paket Sandwichs und Kaffee im Projektionsraum saß.
»Eigenartig, wirklich«, erklang Susies Stimme hinter mir.
»Wir hatten nie Geld, als ich klein war, aber wenn man auf
die Kindheit zurückblickt, erscheint es einem, als wäre damals alles warm und behaglich gewesen.«
Ich dachte an meine eigene Kindheit und das Drama, als
meine Mutter uns im Stich gelassen hatte. Doch ich hatte
mich nicht ungeliebt gefühlt; dafür hatten mein Dad und
Großmutter Varady gesorgt.
»Rennie und ich waren auch die meiste Zeit über ziemlich knapp mit dem Geld«, fuhr Susie fort. »Aber es ging uns
nie wirklich schlecht.« Ihr Tonfall änderte sich, als sie weitersprach. »Man macht sich nicht viele Freunde in diesem
Geschäft, Fran, absolut nicht. Wärst du keine Freundin, hätte ich dir das alles nicht erzählt.«
Wir saßen eine Weile schweigend da und tranken den
Rest Kaffee aus Susies Thermoskanne. Er war nur noch lauwarm und schmeckte nicht mehr richtig.
»Was machen wir jetzt?«, fragte ich.
Susie leuchtete auf ihre Armbanduhr. »Ich schätze, es ist
sicher, wenn wir jetzt gehen.«
»Was ist mit deinem Wagen? Sie haben sich zweifellos das
Nummernschild notiert und halten in Zukunft danach Ausschau.«
»Ja, leider«, stimmte sie mir zu. »Das ist nicht gut. Ich
denke, ich lasse ihn hier stehen und melde ihn als gestohlen.«
»Und das funktioniert?«
»Die Alternative wäre, nach Hause zu fahren, ihn in die
Garage zu stellen und erst wieder hervorzuholen, wenn sich
Staub über die Sache gelegt hat. Wir müssten die Fahrstunden für eine Weile auf sich beruhen lassen.«
Ich dachte kurz nach. »Wenigstens wissen wir nun, dass
Ion die Wahrheit gesagt hat.«
»Du meinst den dicken Kerl? Du weißt nicht, ob es der
gleiche Mann war. Fran. Du hast keinen Namen gehört.«
»Komm schon, Susie!«, entgegnete ich ungeduldig. »Wie
viele Organisationen gibt es in dieser Gegend, die illegalen
Menschenschmuggel betreiben und Immigranten in Lastern
ins Land schmuggeln? Koordiniert bei allen ein dicker Mann
die Absetzpunkte? Wir haben Max dort unten gesehen; daran besteht für mich nicht der geringste Zweifel. Und das
bedeutet, er kommt von hier. Deswegen hat Ion ihn auf der
Straße gesehen. Er wohnt irgendwo hier in der Gegend, und
das wiederum bedeutet, dass ich ihn finden kann!«
»Nicht, wenn du keine bessere Spur findest als die, die du
schon hast. Glaub mir, Fran, ich habe genügend Leute aufzuspüren versucht. Du brauchst etwas, womit du arbeiten
kannst. Wenigstens ein Bild von ihm oder einen Blick auf
sein Gesicht. Du weißt nichts über ihn, außer dass er dick
ist. Das könnte dir auch eine sprechende Waage sagen.«
Mir fiel auf, dass sie vom ›wir‹ zum ›du‹ zurückgekehrt
war. Sie war beunruhigt wegen des Wagens.
Als wir wieder oben auf dem Dach angekommen waren,
herrschte draußen helllichter Tag, und ich erkannte, was für
einen Hindernisparcours das Dach bildete und in welch
schlechtem Allgemeinzustand es war. Glücklicherweise hatte
ich vorhin, während unserer Flucht, keine Zeit gehabt, das
zu
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