Grant County 03 - Dreh dich nicht um
Jeffrey zu. »Sie hat ja manchmal zwei linke Hände. In solchen Situationen muss man Feingefühl mitbringen.«
»Ach ja?«, fragte Jeffrey und sah den Gang hinunter. Frank und Lena standen vor einem der Zimmer. Sie machten keinen sehr glücklichen Eindruck.
Chuck sagte: »Sie hat die Nadel gefunden.«
»Gefunden?« Jeffrey hatte die Techniker von der Spurensicherung erst vor zehn Minuten angerufen. Sie hatten sich den Tatort noch gar nicht vornehmen können.
»Lena hat sie entdeckt, als sie vor dem Objekt stand.« Die falsche Verwendung von Fremdwörtern war typisch Chuck.
»Ist anscheinend unters Bett gerollt.«
Jeffrey unterdrückte einen Fluch. Alles, was sie jetzt noch am Tatort fanden, konnte manipuliert worden sein, vor allem, wenn es einen Beweis dafür gegeben hatte, dass Lena schon einmal hier gewesen war.
Chuck lachte. »Wollte Ihnen nicht die Show stehlen«, sagte er und klopfte Jeffrey aufmunternd auf die Schulter.
Jeffrey beachtete ihn nicht weiter und ging zu Frank und Lena. Als Chuck sich anschickte hinterherzukommen, sagte er: »Tun Sie mir einen Gefallen?«
»Kein Problem.«
»Halten Sie oben an der Treppe Wache. Lassen Sie niemand durch außer Sara.«
Chuck salutierte und drehte sich auf dem Absatz um.
»Idiot«, murmelte Jeffrey im Weitergehen.
Frank sagte gerade irgendetwas zu Lena, doch als Jeffrey dazukam, unterbrach er sich.
Jeffrey bat Lena: »Entschuldigst du uns einen Moment?«
»Sicher«, sagte sie und lief ein paar Schritte den Flur hinunter. Jeffrey wusste, dass sie noch in Hörweite war, doch es war ihm egal.
»Die Techniker sind unterwegs.«
»Ich hab schon mal ein paar Fotos gemacht«, sagte Frank und hielt die Polaroidkamera hoch.
»Lass Brad herkommen«, ordnete Jeffrey an, obwohl er wusste, dass Sara keinen Aufpasser wollte. »Sag ihm, er soll die andere Kamera mitbringen. Ich will scharfe Fotos.«
Während Frank telefonierte, betrat Jeffrey das Zimmer. Ein leicht untersetzter junger Kerl mit langen schwarzen Haaren lag zusammengesackt vor dem Bett. Auf dem Boden neben ihm lag ein gelbes Gummiband, wie es von Süchtigen benutzt wurde, um das Blut im Arm zu stauen. Die Haut des Jungen war angeschwollen und grau. Er lag ganz offensichtlich schon eine Weile hier.
»Himmel«, murmelte Jeffrey. Das Zimmer stank noch schlimmer als das von Ellen Schaffer. »Was zum Teufel ist das?«
»Schlechte Hausfrau?«, schlug Frank vor.
Jeffrey sah sich am Tatort um. Es brannte kein Licht, doch die Morgensonne war hell genug. Neben der Leiche stand ein Fernseher mit Videorecorder, den der Junge wohl auf die Matratze gestellt hatte. Der Bildschirm produzierte Schnee, die Kassette war zu Ende. Das Zimmer war ein Saustall. Jeffrey vermutete, der Geruch kam vor allem aus den alten Schachteln mit Essensresten, die auf dem Boden verfaulten. Überall dazwischen lagen Papiere, Zettel und Bücher. Er fragte sich, wie man hier wohnen konnte, ohne ständig zu stolpern.
Der Kopf des Toten war auf die Brust gesunken, das fettige Haar bedeckte Gesicht und Hals. Er trug nichts außer Boxershorts, die einmal weiß gewesen waren. Eine Hand steckte in der Unterhose, und Jeffrey hatte eine begründete Vermutung, was er da gemacht hatte.
Auf dem linken Arm war ein Muster aus blauen Flecken, doch Sara würde die Male besser einordnen können. An der starren Haltung sah Jeffrey, dass die Todesstarre eingesetzt hatte. Der Tod musste also in den letzten zwei bis zwölf Stunden eingetreten sein, je nachdem, wie warm es im Raum gewesen war. Der Zeitpunkt des Todes war nie leicht festzulegen, und Jeffrey schätzte, dass auch Sara auf Anhieb nicht mehr sagen konnte.
»Ist die Klimaanlage an?«, fragte Jeffrey und lockerte seine Krawatte.
»Nein«, sagte Frank. »Die Tür war offen, als ich ankam, und ich hab sie offen gelassen, damit der Gestank ein bisschen abzieht.«
Jeffrey nickte. Es musste ziemlich heiß in dem Zimmer gewesen sein, wenn die Klimaanlage nicht an war und die Tür zu. Die Nachbarn waren den Gestank wahrscheinlich inzwischen gewohnt und hatten nichts Außergewöhnliches bemerkt.
Jeffrey fragte: »Haben wir schon seinen Namen?«
»William Dickson«, sagte Frank. »Aber anscheinend hat ihn keiner so genannt.«
»Wie haben sie ihn denn genannt?«
Frank grinste. » Scooter.«
Jeffrey hob die Brauen, doch er wollte lieber nichts sagen. Wie sie ihn früher in Sylacauga genannt hatten, war ihm heute noch peinlich. Sara hatte ihn erst gestern wieder damit aufgezogen.
»Sein Mitbewohner
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