Grant County 03 - Dreh dich nicht um
Zeitpunkt zu verabschieden. Nirgends wird Mittelmäßigkeit mehr gewürdigt als in der Bildung.«
»Sie bezeichnen ihn als mittelmäßig?«
»Eine große Leuchte ist er jedenfalls nicht.«
Jeffrey las Kellers Formulierungen vor. »Mein Wunsch ist es, mich wieder den Grundlagen der wissenschaftlichen Forschung zu widmen. Der Eigennutz der freien Wirtschaft ist nichts für mich.«
»Und da geht er an die Universität.« Sie lachte laut. »Ach, ahnungslose Jugend.«
»Wie kann ich mit Monica Patrick in Verbindung treten?«
Candy legte nachdenklich den Finger an die Lippen. »Ich glaube nicht, dass sie noch dort ist. Als ich damals mit ihr telefonierte, klang sie schon steinalt.« Sie warf Jeffrey einen strengen Blick zu. »Ich schätze, mit ein, zwei Anrufen bekomme ich ihre jetzige Nummer heraus.«
»Ich könnte nie zulassen, dass Sie das für mich tun«, wehrte Jeffrey scheinheilig ab.
»Papperlapapp«, sagte sie. »Sie wissen doch gar nicht, wie man mit diesen Konzernfritzen umspringt.«
»Wahrscheinlich haben Sie Recht«, gab Jeffrey zu. »Nicht, dass ich es nicht zu schätzen wüsste – «
Cathy sah nach, ob Blakes Bürotür geschlossen war. »Unter uns, ich hab den Mann nie gemocht.«
»Warum nicht?«
»Irgendwas hat er an sich. Ich habe vor langer Zeit gelernt, dass ich mit dem ersten Eindruck meistens richtig liege. Mein erster Eindruck von Brian Keller war, dass er ein Mistkerl ist, dem man nicht über den Weg trauen kann.«
»Und seine Frau?« Jeffrey wünschte, er hätte gestern schon mit Candy gesprochen.
»Na ja«, sagte sie und tippte sich mit dem manikürten Fingernagel auf die Lippe. »Ich weiß nicht. Sie ist so lange bei ihm geblieben. Vielleicht hat er eine gute Seite, die ich einfach nicht sehe.«
»Vielleicht«, sagte Jeffrey. »Aber ich würde mich lieber auf Ihre Menschenkenntnis verlassen. Wir wissen doch beide, dass Sie die intelligenteste Person auf dem Campus sind.«
»Sie sind ein Teufel«, gab sie zurück, doch er spürte, dass sie sich über das Kompliment freute. »Wenn ich nur vierzig Jahre jünger wäre …«
»Sie hätten mich keines Blickes gewürdigt«, sagte er und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie die Nummer haben.«
Entweder schnurrte sie, oder sie räusperte sich. »Mach ich, Chief. Mach ich.«
Draußen nahm Jeffrey die Treppe statt den Aufzug. Es war nicht weit zu den Diensträumen der Campus-Polizei, doch Jeffrey ließ sich Zeit. Er war seit fast einer Woche nicht joggen gewesen, und seine Beine waren schwer, die Muskeln verspannt. Das Gewitter letzte Nacht hatte einigen Schaden angerichtet. Auf dem Hof lagen überall abgebrochene Äste und Blätter. Der Ordnungsdienst war bereits damit beschäftigt den Unrat einzusammeln. Die Bürgersteige wurden mit Bleiche abgespritzt, die Jeffrey in der Nase brannte. Natürlich hatte man bei den Hauptgebäuden angefangen, wo die Leute arbeiteten, die sich am ehesten über die Unordnung beschwert hätten.
Jeffrey zog sein Notizbuch heraus und überflog seine Aufzeichnungen. Er überlegte, wie er den Tag am besten nutzen sollte. Das Einzige, was er im Moment tun konnte, war die Elterngespräche fortzusetzen und die Wohnheime noch einmal zu durchsuchen. Mit Monica Patrick, falls sie noch am Leben war, hätte er gern gesprochen, bevor er sich Brian Keller vornahm. Keiner verließ einen gut bezahlten Job in der freien Wirtschaft, um für weniger Geld an der Uni zu unterrichten. Vielleicht hatte Keller Unterlagen gefälscht oder hatte allzu offensichtlich in die eigene Tasche gewirtschaftet. Jeffrey würde auch Jill Rosen fragen, weshalb ihr Mann den Job aufgegeben hatte. Sie hatte davon gesprochen, dass sie ihr Leben umkrempeln wollte. Vielleicht hatte sie das schon einmal tun müssen und wusste daher, wie schwer es sein würde. Selbst wenn sie nicht Neues zu sagen hatte, wollte Jeffrey mit ihr sprechen. Vielleicht konnte er irgendetwas für sie tun.
Jeffrey steckte das Notizbuch ein und öffnete die Tür zu Chucks Diensträumen. Die Angeln quietschten laut, doch er hörte es kaum.
»Verdammt«, flüsterte er und warf einen Blick hinter sich, um nachzusehen, ob ihn jemand beobachtete.
Vor ihm auf dem Boden lag Chuck Gaines, die Schuhsohlen zeigten in Richtung Tür. Der tiefe Schnitt durch seine Kehle sah aus wie ein zweiter Mund, das, was von der Speiseröhre übrig war, hing heraus wie eine Zunge. Überall war Blut – an den Wänden, auf dem Fußboden, dem Schreibtisch. Jeffrey sah nach
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