Grant County 03 - Dreh dich nicht um
Schweigepflicht, Lena. Das habe ich Ihnen von Anfang an gesagt. Ich plaudere die Namen meiner Patienten nicht aus.«
Lena nickte dankbar und erleichtert. Jeffrey hatte sie vor sieben Monaten vor die Wahl gestellt: Entweder sie ging zum Psychiater oder sie suchte sich einen anderen Job. Damals war die Entscheidung einfach gewesen, und sie hatte ihm ohne zu zögern die Marke und die Waffe auf den Tisch geknallt. Und heute würde sie sich lieber eine Kugel in den Kopf jagen, als zuzugeben, dass sie später doch noch weich geworden war und die psychologische Beratung aufgesucht hatte. Das ließ ihr Stolz nicht zu.
Wie aufs Stichwort öffnete sich die schwere Eichentür, und Jeffrey kam herein. Er ließ den Blick durch den Raum schweifen. Chuck lief ihm entgegen, doch anscheinend ohne Glück, denn als nächstes sah Lena, wie er mit eingezogenem Schwanz die Bibliothek verließ.
Jeffrey hat noch nie so schlecht ausgesehen wie heute, dachte Lena. Er hatte sich zwar umgezogen, doch der Anzug war verknittert, und er trug keine Krawatte. Je näher er kam, desto schlimmer sah er aus.
»Dr. Rosen«, begann Jeffrey. »Mein herzliches Beileid.«
Weder schüttelte er ihr die Hand, noch wartete er auf eine Antwort. So kannte Lena Jeffrey gar nicht.
Er zog einen Stuhl für Jill Rosen heran. »Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«
Jill Rosen setzte sich. »Geht es dem Mädchen gut?«
Seine Miene veränderte sich kaum merklich, und Lena bekam Mitleid mit ihm. »Wir wissen noch nichts Genaueres«, sagte er. »Ihre Familie ist unterwegs.«
Jill Rosen faltete das Taschentuch in ihrer Hand. »Glauben Sie, die Person, die sie überfallen hat, könnte auch meinen Sohn getötet haben?«
»Im Moment«, erklärte Jeffrey, »gehen wir davon aus, dass es sich um Selbstmord handelt.« Er hielt inne, wahrscheinlich, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Ich habe mit Ihrem Mann gesprochen.«
»Mit Brian?« Sie war überrascht.
»Er rief mich auf dem Revier an, nachdem Sie mit ihm telefoniert hatten«, erklärte Jeffrey. Daran, wie er die Schultern anspannte, sah Lena, dass es ein wenig erfreuliches Gespräch gewesen war.
Auch Jill Rosen schien so etwas zu ahnen. »Brian kann etwas ruppig sein«, sagte sie entschuldigend.
»Dr. Rosen, ich sagen Ihnen das Gleiche, das ich auch schon Ihrem Mann gesagt habe. Wir verfolgen jede Spur, doch angesichts der Geschichte ihres Sohnes scheint alles für Selbstmord zu sprechen.«
Jill Rosen begann: »Ich habe gerade mit Detective Adams gesprochen – «
»Entschuldigen Sie«, unterbrach sie Jeffrey, »aber Ms. Adams arbeitet nicht mehr als Detective. Sie ist jetzt bei der Campus-Polizei.«
Jill Rosen war anzumerken, dass sie sich nicht zwischen die Fronten zerren ließ. »Ich wüsste nicht, was Ihre Hierarchien mit der Tatsache zu tun haben sollen, dass mein Sohn tot ist, Mr. Tolliver.«
Jeffrey wirkte nur ein bisschen zerknirscht. »Es tut mir leid«, wiederholte er. Dann holte er etwas aus der Jackentasche. »Das hier haben wir im Wald gefunden«, sagte er und hielt eine Silberkette mit einem Davidstern hoch. »Es waren keine Fingerabdrücke daran, also – «
Jill Rosen schluckte und griff nach der Kette. Tränen liefen ihr über die Wange, und die Gesichtszüge schienen ihr zu entgleiten, als sie den Glücksbringer an ihre Lippen presste.
»Andy, o Andy.«
Jeffrey warf Lena einen Blick zu, doch als er sah, dass sie die Frau nicht trösten würde, legte er Jill Rosen die Hand auf die Schulter. Er tätschelte sie wie einen Hund. Lena fragte sich, warum es für einen Mann vollkommen akzeptabel war, so schlecht im Trösten zu sein, während die gleiche Schwäche bei einer Frau als unverzeihlich galt.
Jill Rosen wischte sich über das Gesicht. »Tut mir leid.«
»Das ist nur verständlich«, sagte Jeffrey und tätschelte ihr weiter die Schulter.
Jill Rosen befingerte die Kette, die sie sich immer noch an den Mund presste. »Er hatte ihn seit einer Weile nicht getragen. Ich dachte, er hätte ihn vielleicht verschenkt oder verkauft.«
»Verkauft?«, fragte Jeffrey.
Lena erläuterte: »Sie sagt, er hat möglicherweise Drogen genommen.«
»Der Vater sagt, er sei clean gewesen«, erwiderte Jeffrey.
Lena zuckte die Schultern.
»Hatte ihr Sohn eine Freundin?«
»Nein, er ist nie mit jemand gegangen«, sie lachte freudlos. »Weder mit Mädchen noch mit Jungs; nicht dass uns das etwas ausgemacht hätte. Wir wollten nur, dass er glücklich ist.«
»Hatte er mit irgendwem mehr Zeit
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