Grant County 03 - Dreh dich nicht um
aus dem Parkhaus hinausfuhren. Auf der Straße angekommen, stützte sie den Kopf in die Hand, während draußen die Fassaden der Innenstadt an ihnen vorüberflogen. Sie dachte daran, wie anders hier früher alles gewesen war. Heute wirkten die Gebäude viel höher, und die Autos in der nächsten Spur schienen zu dicht heranzufahren. Sara war kein Großstadtmensch mehr. Sie wollte zurück in ihre kleine Stadt, wo jeder jeden kannte – oder wenigstens zu kennen glaubte.
Jeffrey sagte: »Tut mir leid, dass ich zu spät war.«
»Schon gut«, sagte sie.
»Ellen Schaffer«, begann er, »die Zeugin von gestern …«
»Hat sie etwas ausgesagt?«
»Nein.« Jeffrey zögerte. »Sie hat sich heute Morgen umgebracht.«
»Was?«, rief Sara. »Warum hast du mir das nicht gesagt?«
»Ich sage es dir jetzt.«
»Du hättest anrufen sollen.«
»Was hättest du tun können?«
»Ich wäre zurück nach Grant gekommen.«
»Das machst du doch gerade.«
Sara versuchte ihren Unmut zu unterdrücken. Sie mochte es nicht, wenn man Dinge vor ihr zurückhielt, auch wenn es zu ihrem Besten sein sollte. »Wer hat den Totenschein ausgestellt?«
»Hare.«
»Hare?« Ein Teil ihres Zorns richtete sich jetzt auch gegen ihren Cousin, der ihr am Telefon nichts gesagt hatte. »Hat er was gefunden? Was hat er gesagt?«
Jeffrey legte den Finger ans Kinn und imitierte Hares Stimme, die ein paar Oktaven höher war als Jeffreys. »›Ich habe das Gefühl, irgendwas fehlt hier.‹«
»Was fehlte denn?«
»Der Kopf.«
Sara stöhnte. Sie hasste schon gewöhnliche Kopfverletzungen. »Seid ihr sicher, dass es Selbstmord war?«
»Das müssen wir herausfinden. Es gab da eine Unstimmigkeit bei der Munition.«
Sara hörte zu, während er berichtete, was am Morgen geschehen war, angefangen beim Interview mit Andy Rosens Eltern bis hin zu Ellen Schaffers Tod. Sie hakte nach, als sie von dem Pfeil hörte, den Matt in der Wiese unter Ellen Schaffers Fenster gefunden hatte. »Das Gleiche habe ich auch getan«, sagte sie, »als ich auf der Suche nach Tessa den Weg markiert habe.«
»Ich weiß«, sagte er und schwieg.
»Hast du es mir deswegen nicht erzählt?«, fragte Sara.
»Ich mag es nicht, wenn du Informationen vor mir zurückhältst. Du hast nicht zu entscheiden – «
Mit plötzlicher Heftigkeit sagte er: »Ich will, dass du vorsichtig bist, Sara. Ich will nicht, dass du allein auf dem Campus herumläufst. Ich will nicht, dass du dich an Tatorten aufhältst. Verstehst du mich?«
Sie antwortete nicht, so überrascht war sie.
»Und du bleibst heute Nacht nicht allein im Haus.«
»Moment mal – «
»Ich schlafe auf der Couch, wenn es sein muss«, unterbrach er. »Ich versuche nicht, dich ins Bett zu kriegen. Ich hätte nur gerne eine Person weniger, um die ich mir Sorgen machen muss.«
»Du hast das Gefühl, du musst dir Sorgen um mich machen?«
»Hast du das Gefühl gehabt, du müsstest dir Sorgen um Tessa machen?«
»Das ist nicht dasselbe.«
»Der Pfeil könnte was bedeuten. Er könnte am Ende auf dich zurückweisen.«
»Ständig malen irgendwelche Leute mit dem Absatz Zeichen in den Boden.«
»Du hältst also alles für Zufall? Dass Ellen Schaffers Kopf weggeblasen wurde – «
»Vielleicht hat sie es selbst getan.«
»Unterbrich mich nicht«, warnte er, und sie hätte lachen müssen, wäre er nicht so besorgt gewesen. »Ich sage dir, ich will nicht, dass du allein bist.«
»Wir wissen noch nicht einmal, ob hier ein Mord vorliegt, Jeffrey. Außer ein paar Kleinigkeiten, die nicht stimmig sind – und die sind wahrscheinlich leicht zu erklären –, spricht alles für einen Selbstmord.«
»Du glaubst also, dass Andy sich umgebracht hat, dass Tessa überfallen wurde und dass das Mädchen sich umgebracht hat, das alles hat nichts miteinander zu tun?«
Sara wusste, dass es unwahrscheinlich war. »Möglicherweise.«
»Na schön«, sagte er. »Vieles ist möglich, aber du wirst heute Nacht nicht allein bleiben. Hast du das verstanden?«
Sara konnte nur schweigen.
»Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll, Sara. Ich ertrage die Sorge um dich nicht. Ich kann das Gefühl nicht ertragen, du wärst in Gefahr. So kann ich nicht arbeiten.«
»Schon gut«, sagte sie schließlich. Dabei hatte sie sich nach nichts mehr gesehnt als nach Ruhe und Alleinsein.
Jeffrey erklärte: »Wenn das alles nur Zufall ist, kannst du mich später immer noch einen Vollidioten nennen.«
»Du benimmst dich nicht wie ein Vollidiot.« Sara wusste, dass seine
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