Grappa 03 - Grappa macht Theater
Mittel. Als der Magen knurrte, funktionierte sein Spießbürgerhirn plötzlich wie geschmiert.«
Er schlürfte den Kräutertee in winzigen Schlucken und schaute der Bedienung auf die Beine, als sie durch den Raum wieselte. Sie trug Söckchen und dazu weiße Pumps.
»Wie schön! Was wäre denn als Nächstes gekommen? Teeren und federn? Haben Sie vergessen, dass der Mann Ihr leiblicher Vater war?«
»Na und? Ich konnte ihn mir nicht aussuchen. Der Rest sind nur bürgerliche Gefühle.«
»Was wissen Sie von Gefühlen? Aber weiter: Was ist dann passiert? Wann haben Sie ihn umgebracht?«
»Wir haben ihm nichts getan! Er bekam sein Essen und seine Herztabletten. Dann hat er seinen Text aufgesagt, und wir haben das Video gemacht, das wir Ihnen zugeschickt haben. Dann haben wir ihn freigelassen.«
»Sie erzählen das so, als habe es sich um ein harmonisches Familientreffen gehandelt. Auf dem Videoband ist Ihr alter Vater zusammengebrochen! Geschüttelt von Weinkrämpfen. Außerdem war sein Magen fast leer. Er ist nicht auf der Müllkippe gestorben, sondern vorher umgebracht worden. Die Geschichte, die Sie mir erzählen, ist gelogen! Also, wie ist es passiert?«
»Hören Sie!« Langsam kroch Panik in seine Augen. »Ich hatte gehofft, dass Sie mir glauben. Wir wollten uns wirklich nur einen Jux machen. Er ist von jemand anderem erschlagen worden.«
»Woher wissen Sie, dass er an einer Kopfwunde gestorben ist?«
»Natürlich von der Polizei. Sie hat es Mutter erzählt.«
»Und warum hat die Entführung dann zehn Tage gedauert?«
»Das verstehen wir auch nicht. Bei uns war er nur acht Tage.«
»Und wo hat er die restliche Zeit verbracht, Sie Klugscheißer?«
Darauf wusste er keine Antwort. Wenn seine Geschichte stimmt, dachte ich, dann fehlen zwei Tage. Dann war Nello nach seiner Freilassung noch woanders, aber wo? Wahrscheinlich bei seinem Mörder.
»Wie genau habt ihr ihn freigelassen?«
»Wir warteten, bis es Abend wurde. Dann verbanden wir ihm die Augen, luden ihn wieder ins Auto und fuhren eine Weile mit ihm herum, damit er sich den Weg nicht merken konnte. Dann haben wir ihn am Stadtpark abgesetzt.«
»Mit verbundenen Augen?«
»Und gefesselten Händen. Doch der Knoten war so locker, dass er ihn öffnen konnte. Und ein Bushaltestelle war auch in der Nähe, so dass er von dort wegkommen konnte.«
»Ich bin stolz auf euch, Jungs! Und jetzt hören Sie mir mal zu. Die Geschichte könnte sich auch anders zugetragen haben. Nello hat gemerkt, wer ihn entführt hat, nämlich der eigene Sohn, und droht mit Entlarvung und Anzeige. Da bleibt euch hoffnungsvollen Nachwuchsmenschen nichts anderes übrig, als ihn mal eben ein bisschen totzuschlagen. Auch eine schöne Geschichte, was? Und sie könnte sogar wahr sein.«
»Nein!« Er haute mit der Faust auf den Tisch, so dass sich sein Kräutertee über die Spitzentischdecke aus naturbelassener Baumwolle ergoss. Die weißen Pumps trippelten mit einem Wischtusch heran.
»Wir haben ihn nach acht Tagen freigelassen mit allem, was er dabei hatte.«
»Was hatte er denn dabei?«
»Seinen Spazierstock, den Schal, seinen Mantel und einen großen Umschlag.«
»Interessant. Was war in dem Umschlag?«
»Papiere.«
»Was denn für Papiere? Zeitungen, Rechnungen, Manuskripte oder was? Nun lassen Sie sich nicht jede Information aus Ihrer dummen Nase ziehen!«
»Ich hab keine Ahnung. Irgendein Text eben. Wir hatten zu dem Zeitpunkt andere Sorgen.«
Ich stieß mit der Gabel wütend in den Blaubeer-Kuchen mit Pinienkern-Baiser. Die Hälfte rutschte mir auf meinen Rock und hinterließ ein modernes Gemälde nach Graffiti-Art. Ich griff in lila Glibber, den ich genervt auf die feuchte Tischdecke schmierte.
»Was soll ich jetzt machen?«, fragte er mich. Er sah dabei aus wie ein Dreijähriger, der sich im Konfliktfall hilfesuchend an seine Kindergartentante wendet.
»Ich weiß auch nicht, warum, aber ich glaube Ihnen. Ich kümmere mich darum«, beruhigte ich ihn.
»Was soll das heißen?« Er hatte noch immer Furcht. »Werden Sie uns helfen?«
»Klar. Aber eine Hand wäscht die andere. Ich will die Story. Exklusiv. Mein Zeitplan sieht so aus: Morgen ist Nellos Grabgesang im Blatt. Übermorgen dann die wahre Geschichte seiner Entführung.«
»Dann haben wir die Polizei auf dem Hals!«
»Damit müssen Sie sowieso rechnen. Sie müssen die Entführung zugeben, um den Mord aus der Welt zu schaffen. Es wird schwierig genug sein, die Polizei davon zu überzeugen, dass Sie und Ihre
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