Grappa 03 - Grappa macht Theater
Veranstaltung hier reden?«
»Ich weiß nicht, warum Sie die Entführer in meiner Nähe suchen.« Der grüne Junge wollte mich abwimmeln.
»Hören Sie, junger Mann! Ich suche nicht, dafür finde ich. Und bei Ihnen bin ich fündig geworden. Also, was ist? Reden wir miteinander?«
»Wollen Sie nur eine schnelle Geschichte, oder haben Sie Interesse an der ganzen Wahrheit?«
»Die ganze Wahrheit ist besser als gar keine.«
Er nickte. »Aber keine Bullen!«, stieß er hervor. Seine Sicherheit war nur Maske. Jetzt hatte er Angst.
»Keine Sorge. Die zählen nicht zu meinem Freundeskreis. Wo also?«
»Café Samowar. Direkt nach der Veranstaltung hier. Aber nur wir zwei!«
»Okay.« Ich kannte das alternative Etablissement und die von kleinen Mädchen mit feuchten Fingern geformten Vollwertkuchen.
Das grelle Licht der Wahrheit
Lazarus Beutelmosers Gesicht war rot und glänzte, seine Augen waren in die Ferne gerichtet, fixierten am Horizont einen imaginären Punkt, an dem sich der Blick festhielt. Er atmete tief durch, senkte die Augen auf das Papier in seiner Hand und las mit lauter Stimme:
»Nicht erwartet, aber oftmals schon befürchtet, kam er, der Schnitter Tod. Nun ist er durch diese Tür getreten und hinterlässt schmerzende Betroffenheit, die uns alle zur Nachsicht und Weitsicht disziplinieren muss. Wir müssen begreifen, was wir an ihm verlieren werden. Er gab uns viel, sehr viel, und das, was er gegeben hat, lässt uns erschauern vor seiner Größe. Er hat uns reich gemacht an Eindrücken und Ausdrücken. Wer ihm nahe war, der ahnte etwas von der Bedrohung, der er sich immer wieder aussetzte. Seine kometenhaft entwickelte künstlerische Seele, die Ups and Downs, die Krisen und Triumphzüge – waren sie nicht auch Beispiel für eine ständige Suche nach Liebe, Lust und Leidenschaft? Nach Erfüllung und Befriedigung? Seine Aussage freilich pendelte zwischen warmherziger Trauer und kühlem Zynismus über den Zustand der Kunst und seiner Protagonisten in diesem unseren Bierstadt. Viele haben sie nicht verstanden, interpretierten sie als hämische Zynismusbomben auf den eigenen Standpunkt. Wie unrecht habt ihr ihm getan!«
Lazarus Beutelmoser hatte keine Luft mehr. Alle hatten der Rede gebannt gelauscht. Sogar »Putzi«, der Leibwächter, machte den Eindruck, vom erhabenen Hauch der Schönheit der deutschen Sprache gestreift worden zu sein, denn er hatte seinen Bullterrier-Blick abgelegt. Ich sah Feuchtes in seinen Augen.
Das Wetter wollte da nicht abseits stehen. Der Himmel verdüsterte sich, und es fing Sekunden später an zu regnen. Niemand zuckte mit der Wimper.
Beutelmoser fuhr fort:
»Er hat uns viel hinterlassen, das uns reich macht, und er hätte uns noch viel mehr geben können, wenn er gedurft hätte. Er hatte so viel vor sich, und wir hatten so viel von ihm zu erhoffen. Über den Tod ist nicht zu klagen, doch sein Tod ist zu hassen! Nello von Prätorius, wir werden dich vermissen, bis wir uns selbst nicht mehr kennen!«
Alle atmeten auf. Der Rest war Ritual. Blumen in die Grube, Erde drauf und weg. Der Himmel öffnete alle Wasserschleusen. Die schwarzen Anzüge der Herren wurden klamm, die Wimperntusche der Damen floss, und die formgefönten Haare von Ralf-Maria Feudel fielen zu einem Plattkopf zusammen. Paul Pistor klopfte leise schimpfend die Wassertropfen von seinem Tweedjackett.
Ich ging neben Kulturdezernent Höfnagel über den Kiesweg in Richtung Ausgang. Das »Bierstädter Kulturecho« hatte die Trauergemeinde zu einem Leichenschmaus in eine nahe Gaststätte eingeladen.
»Wer, glauben Sie, hat ihn ermordet?«, fragte ich ihn.
»Seine Kidnapper, seine Feinde oder seine Freunde? Irgendeiner, der Grund genug hatte. Und da gibt es einige Leute. Armer alter Nello! Er hatte so viel vor sich und wir noch so viel von ihm zu erhoffen«, äffte er Beutelmoser nach. »Nichts hatte der Mann vor sich, aber auch überhaupt nichts. Seine Rezensionen waren platt und antiquiert. Er zitierte nur noch sich selbst. Er war ein Fossil, ein Auslaufmodell. Na ja, was soll's, nun hat er ein kühles Grab gefunden – und nass ist es auch noch! Das fördert den Verwesungsprozess! Den Würmern hat er noch so viel zu geben, viel mehr als er uns je zu geben vermochte!«
Höfnagel lachte und schritt gut gelaunt aus. Ich schwankte zwischen Abscheu, Neugier und Fassungslosigkeit. Er schien mir roh und gefühllos.
»Ich dachte, er sei Ihr Freund«, wagte ich einzuwenden, »jetzt hört sich das aber ganz anders
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