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Grappa 03 - Grappa macht Theater

Grappa 03 - Grappa macht Theater

Titel: Grappa 03 - Grappa macht Theater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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mächtige Körper lag verdreht am Fuße eines Müllberges. Der Unterleib war halb bedeckt mit Orangenschalen, alten Konservendosen und etwas Bauschutt. Das Gesicht lag frei. Es war kaum noch zu erkennen.
    Mir wurde übel, doch ich konnte mich von dem Anblick nicht losreißen. Schluchzen würgte in meinem Hals.
    Das weiße Haar war grau und schmutzig und von Blut schwarz verkrustet. Der weiße Schal schien unbefleckt.
    Plötzlich kam Wind auf. Eine Möwe schrie in der Luft. Es klang nach Protest. Sie landete auf dem Kopf der Leiche und hackte in der Augenhöhle nach Futter. Die zweite kam und machte sich über die Fleischfetzen her, die einmal eine Wange gewesen waren. Ich hob die Kamera, sah zu, dass ich die Vögel in die Mitte des Bildes bekam, und drückte ab. Es war der Reflex eines Journalisten, der keine Skrupel hat und für den die Verkäuflichkeit seines Produktes an allererster Stelle steht. Nellos Gesichtsausdruck spie mir durch den Sucher Verachtung und Schmerz entgegen, so schien es mir.
    Als ich begriff, was ich gerade getan hatte, schrie ich auf. Die Möwen ließen ihre Beute liegen und erhoben sich in die Lüfte. Ich öffnete das Kameragehäuse und riss den Film heraus. Dann machte mein Magen schlapp. Ich übergab mich.

Tag der Tränen, Tag der Wehen
    Unter großer Anteilnahme der Bürger wurde Nellos Leichnam fünf Tage später beigesetzt. Doch Nello wäre nicht er selbst gewesen, wäre er ohne vernünftige Inszenierung von uns gegangen.
    Der Tote hatte testamentarisch verfügt, dass sein alter Freund Lazarus Beutelmoser die Grabrede halten sollte. Nicht schreiben, sondern nur halten. Nello Prätorius hatte die eigene Grabrede bereits vor einigen Monaten verfasst und bei einem Anwalt hinterlegt. Bierstadt hatte eine weitere Sensation. Ein Toter, der sich selbst von der Welt verabschiedet.
    So standen sie alle um sein Grab herum, und die Neugier ersetzte die Trauer. Fernsehteams und Fotografen fieberten ihrem Einsatz entgegen.
    Ich blickte mich um. Alle waren sie da. Kollegen aller Bierstädter Blätter, Kulturbeamte, Schauspieler und die »Logen«-Brüder Feudel und Pistor, die eine sehr traurig aussehende Beate Elsermann in ihrer Mitte hatten. Sie sah in ihrem engen schwarzen Samtkostüm hinreißend aus. Feudels ewiges Lächeln wirkte noch deplatzierter als sonst.
    Etwas im Hintergrund standen Kulturdezernent Höfnagel und Feudels Leibwächter. Sogar Schauspieldirektor Cäsar Knulp, der Nello sicherlich die Pest an den Hals gewünscht hatte, war gekommen. Versöhnung am Grab.
    Ich schlenderte in eine andere Richtung. Auch Anneliese von Prätorius gab ihrem Ex-Mann die letzte Ehre. Der blasse zarte Junge neben ihr musste Aristide sein. Beide machten eher neutrale Gesichter.
    Das für diesen Anlass verkleinerte Philharmonische Orchester begann zu spielen. Ich erkannte das Werk, es war das »Lacrimosa« aus Mozarts »Requiem«. Das letzte Stück, das Mozart komponiert hatte, bevor er starb. Voll von trauriger Schönheit und erhabener Größe.
    »Lacrimosa dies illa«, intonierte der Bierstädter Opernchor, »qua resurget ex favilla, judicandus homo reus.« Tag der Tränen, Tag der Wehen, da vom Grabe wird erstehen zum Gericht der Mensch voll Sünden.
    Die ersten Schluchzer wogten über die Trauergemeinde. Nasen wurden geschnäuzt und Papiertaschentücher geknüllt. Die Musik ebbte ab, die letzten Töne schwebten über den Grabmalen in das lichte Blau des Himmels.
    Feudel hinderte seinen hellblonden Leibwächter gerade noch rechtzeitig daran, dem Orchester zu applaudieren. Beate Elsermann liefen die Tränen über das wasserfest geschminkte Gesicht, und Höfnagel kniff mir ein Auge zu.
    Ich suchte die Witwe. Sie hatte ihren Kopf an die Schulter ihres Sohnes gelegt. Aristide von Prätorius hatte die Hand seiner Mutter ergriffen. Er hatte wache Augen, die auf einen scharfen Verstand hindeuteten. Knapp über 20. Die abschätzig heruntergezogenen Mundwinkel ließen vermuten, was er von dieser Veranstaltung hielt.
    Du bist so einer, der wild leben und jung sterben will, sinnierte ich, doch um zu wissen, wie du das anstellst, fehlen dir noch ein paar Jährchen. Die Entführung des eigenen Vaters passt für mich noch immer ins Bild, doch einen Vatermord traue ich dir nicht zu. Nein, die Sache musste anders gelaufen sein.
    »Ich bin Maria Grappa«, raunte ich ihm zu, »ich weiß, dass Sie und Ihre Kommilitonen die Entführung inszeniert haben. Sie haben mir auch das Video-Band zugeschickt. Können wir nach dieser

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