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Grappa 03 - Grappa macht Theater

Grappa 03 - Grappa macht Theater

Titel: Grappa 03 - Grappa macht Theater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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erinnerte sie sich, »in tiefer Nacht, und er war aufgeregt. Er hatte getrunken. Zuerst habe ich ihn kaum verstanden. Er erzählte mir, dass er soeben ein Jahrhundertwerk vollendet hätte.«
    »Sprach er wirklich von einem Jahrhundertwerk?«
    »Ja, soweit ich mich erinnere. Er schien ganz glücklich, irgendwie beseelt, von einer Last befreit.«
    »Haben Sie nicht nachgefragt, um was es geht?«
    »Es interessierte mich nicht. Ich war müde. Er hatte doch immer tolle Projekte in Arbeit, die sich dann irgendwie von selbst erledigten. Große Sprüche eben. Und wer kannte die besser als ich?«
    Ein Jahrhundertwerk also, dachte ich, etwas, mit dem der Tote große Hoffnungen verband. Ein Buch vielleicht, ein Theaterstück oder eine Artikelserie. Oder hatte er eine große Sache aufgedeckt, aus der er Kapital schlagen konnte?
    »Hatte dieses Projekt, von dem Ihr Mann sprach, irgendetwas mit der ›Loge‹ zu tun? Diesem Kulturverein?«
    »Ich habe keine Ahnung. Nello hat zwar viel über seine tollen Pläne geredet, sie aber konkret nie vor anderen ausgebreitet. Er hatte immer Angst, dass man ihm etwas wegnehmen oder wegdenken könnte.«
    »Hat er von Geld gesprochen?«
    »Warten Sie! Doch! Wenn das Projekt erfolgreich sein würde, ließe er sich nicht lumpen. Dann würde auch für uns etwas abfallen. Er sagte es so von oben herab, als wolle er uns ein paar Almosen zuschustern. Ich weiß noch, dass ich vor Wut den Hörer aufgeknallt habe.«
    Mehr war nicht aus ihr herauszukriegen. Immerhin wusste ich, dass Nello eine große Sache in Arbeit gehabt hatte, die Geld abwerfen sollte. Hatte er die letzten Tage in seinem Leben noch daran getüftelt? Hatte die unglücklich Entführung ihn daran gehindert? Der Mörder muss ein Mensch sein, der sich schnell neuen Situationen anpassen kann, dachte ich. Er nutzte das Kidnapping, um Nello umzubringen, und lenkte so den Verdacht auf die Studenten.
    »Bleiben Sie bitte erreichbar, Frau Prätorius. Ich werde mir noch einmal seine Wohnung ansehen«, sagte ich. »Irgendwo muss es einen Anhaltspunkt geben, der auf dieses mysteriöse Jahrhundertprojekt hinweist.«
    Mein Kopf war ein Kasten mit unsortierten Zetteln. Ich hatte eine Leiche, in deren Leben zwei ganze Tage fehlten, ich hatte einen Umschlag, in dem vielleicht wichtige Papiere waren, und ich wusste von einem wichtigen Jahrhundertprojekt, das den Toten in euphorische Stimmung versetzt hatte. Mein Gefühl sagte mir, dass die »Loge« eine Rolle in der Tragödie spielte, die nicht zu unterschätzen war.

Erinnerung an eine Nacht im Stadtpark
    Ich brauchte Ruhe und beschloss, durch den Stadtpark zu wandern. Die Luft war mild, es war einer dieser verregneten Sommer, die in unseren Breiten üblich sind. Im Park hatten die städtischen Gärtner die Blumen in Reih und Glied gepfercht, die Bäume hatten die Disziplin der Garten- und Friedhofsordnung verpasst bekommen, und die Seerosen auf dem Teich sahen aus, als wären sie aus Wachs.
    Auf den Wegen spießten missmutige Sozialhilfeempfänger aus dem städtischen Sonderprogramm »Arbeit statt Stütze« Bonbonpapier und Zigarettenkippen auf. Die Stadt hatte sie in schmucke Uniformen gesteckt, die denen von Strafgefangenen ähnelten, denn sie waren grellorange und quer gestreift.
    Für weitere bunte Farbtupfer sorgten die Jogger. Leute zwischen 17 und 70 rannten in geranienroter oder resedagrüner Ballonseide durch den Park, ohne dass sie jemand verfolgte.
    Ich setzte mich auf eine Bank und atmete durch. Frischluft für meine Gehirnzellen. Mein Journalistenschicksal betrübte mich. Polizisten halten sich nur an Fakten und haben keine Fantasie. Schriftsteller haben Fantasie und scheren sich nicht um die Fakten. Journalisten kennen Fakten und haben Fantasie und sollten deshalb näher an der Wahrheit sein als andere.
    Doch diese Erkenntnis nützte mir überhaupt nichts. Ich stellte die Fakten zusammen und wartete auf die rettende Eingebung. Ohne Erfolg.
    Hier, in diesem Stadtpark hatten die Studenten ihr Opfer freigelassen. Ich schloss die Augen und versuchte, mir jenen Abend vorzustellen:
    Es ist dunkel. Ein Wagen fährt vor und stoppt. Eine Tür öffnet sich. Ein Mann mit verbundenen Augen und auf dem Rücken gefesselten Händen steigt aus. Die Autotür schlägt zu, der Wagen startet mit quietschenden Reifen.
    Der Mann wartet eine Weile. Er versichert sich, dass seine Peiniger verschwunden sind. Dann löst er die Fesseln und nimmt sich das Tuch von den Augen. Oder den weißen Schal. Er stützt sich

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