Grappa 03 - Grappa macht Theater
Fußspitze trat ich auf ein Blatt Papier. Ich wollte es fluchend beiseite kicken, als ich bemerkte, dass es sich um eine Manuskriptseite handelte. Ich stutzte und sah mir das Blatt genauer an. Es war die 113. Seite eines Buchmanuskriptes, die irgendwer bei seinem Abgang auf der Treppe verloren hatte.
Das war die Spur, die ich erhofft hatte! Der Mörder hatte Papiere gesucht und sie auch gefunden! Ich steckte das Blatt in meine Tasche. An der Haustür bekam ich eine Idee. Ich rannte schnell in Nellos Wohnung zurück, ging ins Arbeitszimmer und spannte ein herumliegendes Blatt in seine Schreibmaschine.
Dann tippte ich ein paar Worte darauf. Ich benutzte zum Antippen der Tasten meinen Kugelschreiber, um keine Fingerabdrücke zu zerstören. Ich schrieb: Sie wusste nicht, warum sie ihm gehorchte. Es war die Schärfe seiner Stimme, dachte sie dann. Mit einem bestimmten Griff hatte er ihr den Pullover über den Kopf gezogen …
Das waren die ersten Sätze, die auf der einzelnen Manuskriptseite zu lesen waren. Ich würde sie zu Hause analysieren. Dann verließ ich das Haus endgültig.
Ikarus fliegt der Sonne entgegen
Aristide und seine Freunde wurden aus der Haft entlassen. Die Polizei hatte keine Beweise finden können, um dem Quartett den Mord anzuhängen. Ihnen stand allerdings noch ein Prozess wegen Entführung oder Freiheitsberaubung ins Haus – nicht gerade die Aussicht auf ein paar harmonische Monate.
Ich untersuchte die Seite. Ihre Existenz hatte ich der Polizei verschwiegen, mit ihrer mangelnden Fantasie und fehlenden Kreativität hätten die Bullen sowieso nichts damit anfangen können.
Der Text war eindeutig auf Nellos Schreibmaschine getippt worden. Er schrieb noch nicht auf einem Computer, sondern auf die traditionelle Art, wie es viele alte Journalisten tun, die glauben, die Technik würde den Musenkuss verzögern oder unmöglich machen.
Nello hatte eine Szene zwischen einem älteren Mann und einer jungen Frau geschildert, gewürzt mit Erotik. Lazarus Beutelmoser hatte auch an einer solchen Story gebastelt. Klar, das Thema »alternder Mann und junge Frau« hatten beide nicht erfunden. Doch Nellos Manuskript war verschwunden, Nello war tot. Lazarus Beutelmoser plante einen Roman mit demselben Thema.
Beate Elsermann war Nellos Freundin. Die Bekanntschaft mit Beutelmoser hatte sie bestritten. Es war möglich, dass sie gelogen hatte, denn laut Vereinsregister gehörten sie und Beutelmoser zu den Gründungsmitgliedern der ›Loge‹.
Beutelmoser war Schriftsteller, ohne zu schreiben. Ob er darunter litt, wusste ich nicht. Jahrelang mit Betroffenheits-Texten Schüler oder Kirchgänger zu nerven, kann am Ego kratzen.
Ich las mir einige Sätze der Seite 113 noch einmal laut vor:
Er hielt ihr den Pullover hin, unterwürfig, so, als wolle er sie um Verzeihung bitten für seinen unbedachten, ja todesmutigen Akt. Sie nahm das Kleidungsstück und ließ es achtlos fallen.
Ihre apfelförmigen Brüste waren so nah, dass er sie hätte berühren können. Eine klassische Erotikszene, dachte Adam, nur zugreifen müsste ich. Doch er redete nur. Erzählte, dass er sie schon lange begehre, doch nie daran gedacht habe, dass eine Frau wie sie und er. Stotterte. Sie schaute. Schaute nur mit offenen Augen, so, als betrachte sie ein kompliziertes Insekt, das auf dem Rücken liegt und hilflos mit den vielen Beinen in der Luft herumrudert.
Dann ergriff sie seine Hand und legte sie auf ihre rechte Brust. Er bekam keine Luft mehr, war Ikarus, der mit wächsernen Flügeln der Sonne entgegenflog und …
Was sich bei Adam in dieser Szene noch regte, blieb mir verborgen, denn die Seite war zu Ende. Auch den Namen der Dame erfuhr ich nicht, aber ich konnte ihn mir denken: Eve. Adam und Eve, die beiden ersten Menschen, im Verderben aneinandergekettet, und Adam und Eve in Kleists Lustspiel. Der alte geile Mann, der sich an einer jungen Unschuld vergreifen will und dabei Reputation und Job verliert.
Lazarus Beutelmoser war der Anfang vom Knäuel. Ich hatte den Faden und brauchte nur noch abzuwickeln. Beutelmoser hatte Nellos Manuskript gestohlen, um es als sein eigenes zu präsentieren.
Zwischen Windeln und Wahnsinn
Die nordrhein-westfälische Fachtagung des Deutschen Hausfrauenbundes war eher ein Landestreffen der zweireihigen Perlenketten. Noch nie hatte ich so viele Zuchtperlen auf einmal gesehen. 200 Frauen jeglichen Alters waren ins Bierstädter Kongresszentrum gekommen, um die Menschwerdung der Hausfrau ein Stückchen
Weitere Kostenlose Bücher