Grappa 03 - Grappa macht Theater
wichtiger Posten«, erklärte er, »das musste ich auch erst lernen. Deshalb ist unser Personal im Kulturbereich ja so überdurchschnittlich qualifiziert.«
Höfnagel hatte seine Leidensmiene aufgesetzt und spielte den unverstandenen Schöngeist. Da hatte er viel mit dem toten Nello gemeinsam. Er litt darunter, dass er eine Kultur verwalten musste, die sich eng an den Richtlinien des Machbaren orientieren musste. Da war kein Platz mehr für Experimente. Die Zahl der Kulturnutzer bestimmte den Erfolg und nicht das dargebotene künstlerische Niveau.
»Mach dir nichts draus. Ich habe auch Depressionen, wenn ich über den Journalismus von heute nachdenke!«, tröstete ich ihn. »Aber das geht vorbei. Und jetzt erzähle ich dir, wie du am nächsten Donnerstag im Rat den Feudel schlachten kannst. Was sagst du zu meinem Angebot?«
Seine Augen blitzten hinter den Glasbausteinen seiner Brille auf. Seine depressive Phase löste sich in Wohlgefallen auf. Es war, als hätte ich einer verdurstenden Zimmerpflanze einen rettenden Eimer Wasser übergekippt. Ich erklärte ihm die Sache, er war ganz Ohr und versprach zu schweigen.
Noch am selben Tag erklärte der Steuerberater die Papiere zu einem mittleren Wirbelsturm.
»Putzi« nimmt die Sache in die Hand
Das Licht eines letzten sonnigen Herbsttages fiel durch das Glasdach des Bierstädter Rathauses und spiegelte sich im reinen Weiß des italienischen Carrara-Marmors. Langsam betraten die gewählten Kommunalparlamentarier das Gebäude und stiegen die Freitreppe zum Ratssaal hinauf.
Emsige Verwaltungskräfte schoben Erfrischungswagen mit Kaffee und kühlen Getränken in den Nebenraum, in der Küche neben der Cafeteria wurden Kuchenberge malerisch auf runde Tabletts platziert.
Ich stand am oberen Ende der Treppe und wartete. Eigentlich dürfte nichts schief gehen, der Tag war generalstabsmäßig vorbereitet worden.
Da kam unser kleiner Fotograf. Seine Laune war nicht die beste, denn er war nicht eingeweiht. Jansen hatte ihn mitten aus einer wichtigen Arbeit gerissen: Er war gerade einer 20-jährigen beim Einstieg in die internationale Modebranche behilflich.
»War das deine Idee mit den aktuellen Porträts von den Gipsköpfen da drin?«, fragte er mich unfreundlich.
»Reg dich ab, Süßer! Halte dich schussbereit, und du wirst es nicht bereuen.«
»Ich bin immer und überall schussbereit!«, brüstete er sich und lachte meckernd. Männerwahn!
Da erschien Feudel. Als ich »Putzi« drei Schritte hinter ihm sah, bekam ich einen dicken Hals. Feudel hielt auf der Treppe inne und richtete das Wort an seinen Leibwächter. Der nickte und verzog sich über das Treppenhaus auf die Zuschauertribüne, die über dem Sitzungssaal lag. Feudel stellte sich zu dem Vorsitzenden der Mehrheitsfraktion, der mit einigen Gleichgesinnten neben der Saaltür stand.
Plötzlich stand Höfnagel neben mir. »Alles klar?«, fragte ich. Er nickte und ging hinein. Ich folgte, bog nach links zu den Presseplätzen ab.
Oben auf der Empore saß »Putzi« und starrte vor sich hin. In seiner Nähe entdeckte ich Paul Pistor ebenso wie einige Schauspieler und Musiker des Theaters.
Oberbürgermeister Gregor Gottwald eröffnete die Ratssitzung. Nach ein paar Regularien rief er den Tagesordnungspunkt 2.1 auf.
»Wir kommen nun zur Wahl des Generalintendanten der Städtischen Bühnen. Mir liegt ein Vorschlag der SPD-Fraktion vor. Gibt es weitere Vorschläge?«
Er wartete eine Weile, doch nichts rührte sich.
»Die SPD-Fraktion schlägt den Unternehmer Ralf-Maria Feudel vor. Herr Feudel ist der einzige Kandidat. Sollen zu seiner Person Erklärungen abgegeben werden?«
Willy Stalinski, der Chef der Mehrheitsfraktion, schüttelte das Haupt. Gottwald blickte zu den beiden Oppositionsparteien. Erika Wurmdobler-Schillemeit von den Bunten gab etwas Nebensächliches von sich, die Christdemokraten erklärten, die Bewerbung Feudels mitzutragen. Ich sah, wie Feudel, der im rechten Teil des Ratssaales im Hintergrund saß, aufatmete.
Doch dann meldete sich Kulturdezernent Jacques Höfnagel zu Wort. »Der Beigeordnete Höfnagel wünscht eine Erklärung abzugeben.«
Gottwald war ungehalten, und alle merkten es ihm an.
Jacques Höfnagel drückte die Taste seiner Sprechanlage und sagte laut und deutlich: »Herr Feudel ist als Generalintendant der Bierstädter Bühnen nicht geeignet. Ich werde meine Meinung begründen, bitte hören Sie mir gut zu.«
Ein Raunen ging durch den Saal. Es war totenstill. Höfnagel hatte die
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