Grappa 05 - Grappa faengt Feuer
Berge ab. Sie erblickte mich und winkte mir zu. Ich hatte den Eindruck, dass sie nicht mehr ganz sicher auf den Beinen war. Meine Hand erhob sich zu einem stummen Gruß.
Ich blickte auf den Balkon neben mir. Daphne Laurenz schien noch nicht zurück zu sein. Auch von Kondis, der daneben wohnte, sah ich keine Spur. Ich erinnerte mich, dass mir Pater Benedikt ein Interview versprochen hatte. Ich muss endlich Material für meine Sendung sammeln, ermahnte ich mich.
Auf dem Flur war niemand zu sehen. Ich klopfte an des Paters Zimmer. Nichts rührte sich.
Vielleicht war er auf dem Dachgarten. Dort fand ich ihn tatsächlich. Er saß schlafend in einem Liegestuhl, seine Brille war von seiner Nase gerutscht. Ich griff seinen Arm und schüttelte ihn leicht.
»Ja?«, schreckte er hoch. Dann erkannte er mich. »Frau Grappa! Entschuldigen Sie, ich muss eingenickt sein.«
»Ich muss Sie um Verzeihung bitten, weil ich Sie geweckt habe. Erinnern Sie sich, dass ich ein Interview mit Ihnen machen wollte? Ich dachte, heute Abend sei die Gelegenheit, aber wenn Sie lieber schlafen wollen?«
»Nein, nein.« Er rappelte sich hoch. »Ich habe nichts dagegen. Ich hole uns etwas zu trinken und mache die Lampe dort drüben an.«
»Sehr gut. Ich hole schnell meinen Kassettenrekorder aus meinem Zimmer. Ich bin gleich wieder da!«
Als ich zurückkam, standen eine Flasche Rotwein und zwei Gläser auf dem Tisch. Wir stießen an. Dann pegelte ich den Rekorder aus und begann.
Kassette 1. Interview Pater Benedikt. Katholischer Geistlicher. Ort: Delphi.
Pater, Sie sind Experte für vergleichende Religionswissenschaften. Haben Sie sich auch mit der griechischen Mythologie befasst?
Selbstverständlich. Die Antike und ihre Philosophen haben großen Einfluss auf das Christentum gehabt. Die christlichen Religionslehrer wie Thomas von Aquin oder Augustinus, die Scholastiker wie Albertus Magnus oder Wilhelm von Ockham sind ohne Philosophen wie Aristoteles oder Platon nicht vorstellbar. In der christlichen Philosophie des Mittelalters wurden Schulen gegründet, die auf dem antiken Gedankengut aufbauten und in geistigem Wettstreit standen.
Die Griechen hatten sehr viele Götter, die das alltägliche Leben bestimmten. Das Christentum kennt nur einen Gott. Die Religionen sind doch sehr unterschiedlich.
Der griechische Mensch hing keiner Religion an, sondern hatte eine tief verwurzelte Mythologie. Die griechischen Götter waren jung, stark, liebenswert, gerecht, ungerecht, rachsüchtig, in das Leben verliebt, verspielt, heiter, tolerant … sie waren wie wir alle, sie waren menschlich.
Es scheint fast so, als würden Sie die Griechen um ihr unbefangenes Verhältnis zu ihren Göttern beneiden?
Sie haben recht. Die griechische Religion – ich will den Begriff mal benutzen – war tolerant, es gab keine Verfolgung Andersdenkender. Und doch hat sich in den Jahrhunderten ein stark vergeistigter Begriff des Göttlichen herausgebildet, der den Menschen moralisch erhöht hat. Was unsere Kirche mit Zwang versucht hat, geschah in diesem schönen Land wie von selbst. Terror und Blutbäder gab es erst, als die römische Kirche zur Staatsreligion erhoben wurde. Das Christentum ist nicht Lebensfreude, sondern Lebensangst. Die Erde ist ein Jammertal, aus dem der Mensch erlöst werden muss. Unterwerfung unter den Willen Gottes stand an erster Stelle. Das Christentum ist eine lebensfeindliche Religion.
Wie können Sie so denken? Sie sind ein Mann der Kirche, gehören einem Orden an, der sich durch Ketzerverfolgungen und Hexenverbrennungen einen schlimmen Namen gemacht hat!
Um Schuld zu sühnen, muss man um sie wissen.
Waren Sie heute Nachmittag im Tal des Pleistos? Ich meinte, Sie in einer kleinen Kirche gesehen zu haben.
Ich war den ganzen Nachmittag im Hotel und habe gelesen.
Warum nehmen Sie an dieser Reise teil?
Ich war noch nie in Griechenland. Es war immer mein Traum, die Orte zu sehen, die in den alten Schriften zu finden sind: Delphi, Dodona, Mykene, Epidaurus … Ich bin zu alt, um allein zu reisen. Außerdem ist Herr Kondis ein Experte für die griechische Kultur. Sein Name ist international bekannt.
Was wissen Sie über Kondis?
Ich weiß das, was Herr Unbill uns allen bereits erzählt hat. Er war in einen Diebstahlsskandal verwickelt.
Wie finden Sie die Mitreisenden? Was halten Sie von der Gruppe?
Das kann ich nach so kurzer Zeit noch nicht beurteilen. Aber …
Ja?
Es geht etwas vor. Ich weiß nicht was, aber das Böse reist mit. Es ist immer
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