Grappa 05 - Grappa faengt Feuer
davon gehört. Ist das eine Bildungslücke?«
»Nicht unbedingt. Daphnis war ein hübscher Hirte und Chloe eine Schäferin. Zu großen Ehren kamen die beiden aber erst im 17. und 18. Jahrhundert, als auf fast jeder Bühne die so genannten ›Schäferspiele‹ stattfanden. Eine Mischung aus neckischem Herumtollen und süßlicher Naturliebe.«
Er deutete auf die Berghänge. »Im Longos finden Sie Myrte, Lorbeer, wilden Thymian, Oregano, Zistrosen und Lavendel. Riechen Sie die Mischung? Sie liegt wie ein Hauch über dem Tal.«
Kondis stoppte den Wagen. »Lassen Sie uns ein wenig Spazierengehen«, schlug er vor. »Dann erkläre ich Ihnen die einzelnen Pflanzen.«
»Wir müssen den Vogel fliegen lassen!«, gab ich zu bedenken.
»Weiter unten. Da ist der Wald dichter.«
Ich achtete darauf, dass der Distelfink nicht in der prallen Sonne sitzen musste und stieg aus. Leichtfüßig sprang Kondis zum Fuß eines leicht ansteigenden Hanges.
»Das hier ist Thymian«, erklärte er. »Zerreiben Sie einen Zweig zwischen Ihren Fingern!«
Der Busch war rundköpfig und blühte lila auf magerem Boden. Ich zupfte einen Zweig und roch daran. Ein urwüchsiger Duft zog in meine Nase.
»Und das hier ist Oregano!«
Er hielt mir einen Zweig wilden Majorans entgegen.
»Ich werde etwas davon pflücken. Ich liebe Oregano, doch ich habe ihn noch nie in Freiheit wachsen sehen.«
Ich setzte mich auf den Boden und zupfte ein paar Zweige aus. Zwischendurch steckte ich meine Nase hinein. Wunderbar!
Kondis platzierte sich neben mich und schaute mir beim Rupfen zu. »Gefällt es Ihnen hier?«
»Es ist umwerfend«, lächelte ich, »alles ist perfekt. Ein schöner Tag, eine urwüchsige Landschaft, die warme Sonne, die zirpenden Grillen, der Geruch nach Wildheit. Sehen Sie nur, wie sich die Gräser bewegen!«
Lustvoll betrachtete ich, wie der Wind die Halme an ihren Spitzen packte und sie in einen gleichmäßigen Rhythmus zwang. Die Sonne tauchte das Bild in pures Gold.
»Ich habe noch nie eine Frau wie Sie getroffen«, teilte er mir mit.
»Schade für Sie.« Mehr fiel mir nicht ein. Ich wollte aus der emotionalen Gefahrenzone raus und rappelte mich hoch, um den nächsten Oreganobusch zu plündern. Dabei presste ich die bereits gepflückten Zweige eng an meinen Körper, als hoffte ich, Kondis so auf Distanz halten zu können.
Je älter ich werde, umso schrulliger bin ich drauf, dachte ich wütend. Ein erotischer Neustart rückte in die Ferne. Du bist verklemmt, Grappa, schalt ich mich weiter, andere Frauen würden jetzt schon an anderen Dingen zupfen als an Oreganozweigen.
Zum Glück folgte er mir. Halbherzig unterstützte er meine Bemühungen, Oregano für die nächsten 20 Jahre zu sammeln.
»Sie sind kein bisschen kokett«, stellte er fest und reichte mir brav ein Zweiglein.
»Warum sollte ich?«
»Es macht die Sache einfacher.«
»Welche Sache?«
Er seufzte. »Immer diese direkten Fragen! Koketterie macht das Zusammenleben zwischen Mann und Frau einfacher.«
»Anstrengend für die Frau, bequem für den Mann. Warum sollte ich mit Ihnen Süßholz raspeln?«
»Süßholz?«
»Ein deutsches Idiom. Es bedeutet, dass man sich gegenseitig mit Nettigkeiten überhäuft, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.«
»Und welches Ziel will ich Ihrer Meinung nach erreichen?« Das Spielchen machte ihm Spaß.
»Männer haben immer nur ein Ziel und wollen immer nur das Eine«, zickte ich.
»Das wusste ich noch gar nicht. Was wollen Männer denn?«
»Es muss irgendwas mit Sex zu tun haben. Nicht, dass ich da eigene Erfahrung hätte … ich habs nur in Büchern gelesen.«
Er lachte los. Neben den Flügeln seiner klassischen griechischen Nase bildeten sich kleine Grübchen. Über seinem Mund, an Hals und Wangen lag der erotische Schatten eines beginnenden dunklen Bartes.
»Haben Sie etwas gegen Sex?« Sein Ton war entschieden zu lasziv.
»Nicht direkt.« Ich wollte wieder auf den Teppich, denn meine Gedanken tanzten wie Wattebäusche durch die laue Luft. Außerdem hatte ich mir fast einen Wolf gezupft. Meine Finger waren klebrig vom Pflanzensaft. Ich setzte mich auf einen großen Kalkbrocken. Mit ein paar Grashalmen band ich die Oreganosträuße zusammen.
Er sah mir zu, ließ mich nicht aus den Augen. In der Ferne bimmelten die Ziegen. Der »Longos« duftete wie verrückt, weil ein leichter Wind vom Tal heraufzog. Ich schloss die Augen. Man müsste die Zeit beliebig festhalten können, dachte ich, diesen Moment der Wärme und Entspanntheit
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