Grappa 08 - Grappa und die fantastischen Fuenf
wegen Rufschädigung bis zum Jüngsten Gericht zu verklagen. Haben Sie das verstanden, Frau Grappa?«
»Sie drohen mir?«
»Ja. Das ist eine Drohung, die Sie ernst nehmen sollten.«
Er war ein Mann mit biegsamer Moral, einer, der den Tabubruch als Hygiene für seine kulturell entwurzelte Seele riskiert hatte. Vatermord war auch im Islam eine schwere Sünde, Vergebung ausgeschlossen.
Ein bunter Gruß
Der Brief, der in meinem Briefkasten lag, trug vier bunte Briefmarken und schien weit gereist.
Liebe Frau Grappa – stand dort in kräftiger blauer Schrift – wir wollten uns doch einmal bei Ihnen melden – in der Hoffnung, dass Sie diesen Brief vertraulich behandeln. Ich glaube, wir sind Ihnen eine Erklärung schuldig. Meine Schwester Lena und ich haben unseren Platz gefunden – besonders für Lena ist dieser Ort eine Quelle der Ruhe und Gesundheit. Aber der Reihe nach.
Mustafa, den Sie Solo genannt haben, hat uns – Jahre nach der gemeinsam verbrachten Jugendzeit – zufällig auf der Straße erkannt. Er wunderte sich, dass es uns so schlecht ging. Lena war damals völlig verstört, sprach mit niemandem außer mit mir, war depressiv und selbstmordgefährdet. Ich dachte mir damals Spiele für sie aus, denn ich hatte bemerkt, dass sie ihren Autismus verlor, wenn sie in andere Rollen schlüpfen konnte. Ein Spiel betraf die angeblich wertvolle Geige, die wir einige Male gut verkaufen konnten. Lena spielte die Rolle der Ehefrau des Geigenvirtuosen aus der Ukraine so brillant, dass jeder auf den Betrug reinfiel.
Solo machte uns klar, dass wir nicht so weiter leben konnten. Aber – woher sollten wir Geld bekommen, nachdem uns zwei Betrüger das Erbe unserer Eltern gestohlen hatten?
Da kam uns die Idee mit der Erpressung. Solo bestand darauf, Rache an den Leuten zu üben, die unser Leben zerstört hatten. Er dachte dabei vermutlich nicht an mich, denn er liebte Lena immer noch und litt, sie so zu sehen. Zugleich wusste er, dass er wegen seiner Krebskrankheit keine gemeinsame Zukunft mit meiner Schwester planen konnte. Er sprach davon, wenigstens für uns eine Zukunft aufbauen zu wollen.
Sein erstes Opfer sollte Tabibi sein. Es erschreckte mich, mit welcher Kaltblütigkeit er den Mord an ihm ausführte. Ich habe die Leiche in der Nacht vor der Sprengung der Bibilothek zusammen mit Mustafa hinter die Absperrung geschleppt. Danach musste ich für Sie den Augenzeugen spielen. So sollte der Mord in einem Zusammenhang mit der Erpressung gebracht werden. »Die Fantastischen Fünf« waren von Anfang an eine Fiktion, die sich in der Presse gut anhörte. Mustafa wusste, dass Sie darauf abfahren würden.
Inzwischen waren Lena und Solo wieder ein Liebespaar. Lena hing noch immer an ihm – genau wie früher. Er war ihr erster Liebhaber gewesen, und sie hatte ihn nie vergessen können.
Dann zog ich bei Ihnen ein, Frau Grappa. Es tut mir leid, Sie damals belogen zu haben, doch Solo wollte, dass ich an der Quelle sitze – dort, wo alle Informationen zusammenlaufen. Doch besonders ergiebig war der Besuch bei Ihnen nicht – eher erholsam, weil ich es mit einem normalen Menschen zu tun hatte. Als die Polizei auf mich aufmerksam wurde, türmte ich eben. Sorry.
Die vier Mio hat uns Solo in einem Koffer übergeben. Mamoud Tabibi hat ihm von Anfang an geholfen. Er organisierte unsere Flucht im Auftrag von Mustafa. Als wir uns trennten, behauptete Solo, bald nachzukommen. Ich glaubte ihm nicht, denn ich wusste, dass er nicht mehr lange zu leben hatte.
Durch seine Auslandsaufenthalte kannte Solo Ecken in der Welt, an denen uns niemand suchen würde. Hier leben wir nun – in Sonne und in sauberer Luft, umgeben von freundlichen Menschen. Das Geld wird bis an unser Ende reichen – hier ist das Leben billig. Wir erwarten außerdem ein Baby. Nein, nicht, was Sie denken. Lena ist von Solo schwanger – er lebt also in diesem Kind weiter.
Ich wünsche Ihnen alles Gute dieser Welt – und verzeihen Sie uns. Ihr Leon Pirelli.
Ich ließ die Hand mit dem Brief sinken. Nun hatte der Sohn der Putzfrau sein Mädchen doch noch gekriegt – sogar nach seinem Tod. Liebe ist halt eine unheilbare Krankheit, dachte ich. Wer an ihr leidet, will nicht genesen. Und in der Liebe gibt es Zeiten, zu denen alles möglich ist – wirklich alles.
Ausklang in Gelb
»Ich habe eine Überraschung für dich«, empfing mich Nik eines Abends.
»Ein neues Gericht oder noch was Schöneres?«, fragte ich und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
»Weder noch. Wenn
Weitere Kostenlose Bücher