Grappa 10 - Zu bunt für Grappa
er, nahm meine Hand und hauchte einen Kuss drauf. »Ist es nicht viel schöner, sich hier wieder zu sehen, als in diesem schrecklich öden Bierstadt?«
»Das ist es«, krächzte ich. Ich hatte meine Stimme noch nicht wieder im Griff.
»Was ist mit dir?«, fragte Cortez.
»Gar nichts«, behauptete ich.
»Freust du dich nicht, mich wieder zu sehen?«
»Es kommt darauf an, was du von mir willst«, versuchte ich cool zu bleiben. »Hast du dieses Café bewusst für unser Wiedersehen ausgesucht?«
»Natürlich. Es spielt im Werk von Vincent van Gogh schließlich eine große Rolle«, sagte Cortez. »Und um van Gogh geht es doch in dieser Geschichte, oder?«
Er wollte prüfen, wie viel ich wusste. Ich blickte auf die Häuserfassade direkt gegenüber, die der unglückliche holländische Maler vor über hundert Jahren abgebildet hatte: Im Hell der Sonne waren die Gesichter der Häuser grau und verfallen, stumpf und dumpf.
»Lass uns doch endlich zur Sache kommen.« Ich gab meiner Stimme einen geschäftsmäßigen Ton. »Ich habe gehört, dass ein unbekanntes Gemälde von Vincent van Gogh aufgetaucht sein soll, hinter dem alle Welt her ist. Stimmt das?«
»Ja. Erinnerst du dich, dass ich dir in Bierstadt erzählt habe, dass mir Skizzen gestohlen worden sind?«
»Sicher«, antwortete ich und winkte den Kellner heran. Meine Zunge klebte am Gaumen, ich brauchte dringend ein Glas kühlen Wein.
Ich orderte das Getränk, Cortez wählte ebenfalls ein Glas Rosé.
»Diese Skizzen dienten van Gogh als Grundlage für das unbekannte Gemälde, das jetzt aufgetaucht ist. Es zeigt einen Bauern, der sein Melonenfeld bestellt. Vincent hat dieses Bild ein Jahr vor seinem Tod gemalt. In der Irrenanstalt von St. Rémy.«
»Die Van-Gogh-Forschung ist ziemlich weit gediehen«, wandte ich ein. »Warum hat noch nie jemand von diesem Gemälde gehört?«
»Es war in Privatbesitz«, erklärte Cortez. »Immerhin soll Vincent in den letzten zehn Wochen seines Lebens über siebzig Bilder gemalt haben. Vielleicht ist dieses Bild die Nummer einundsiebzig.«
»Wo ist dieses Bild? Hast du es gesehen?«
»Ich habe es gesehen und ich weiß, wo es sich befindet.«
Der Kellner brachte das Bestellte. Ich prostete Cortez zu. Er stieß sein Glas an meines.
»Zum Wohl«, sagte er. »Eine merkwürdige Sitte ist das Anstoßen. Ihr Deutschen seid ein komisches Volk.«
»Du wirkst auch nicht gerade wie ein Argentinier.«
»Und wie stellst du dir einen Argentinier vor?«
»Klein, dunkelhaarig, mit Pomade im Haar und ständig Tango tanzend.«
Cortez lachte. Er warf den Kopf zurück und zeigte die weiß-schimmernden Zähne.
Ich lachte ebenfalls. Ein plötzliches Gefühl von Heiterkeit, Leichtigkeit und Vertrautheit stieg in mir auf. Doch ich wollte das nicht. Nicht mehr.
»Wer besitzt das Bild?«, kam ich wieder zur Sache.
»Jemand, den ich beschützen muss«, sagte Cortez.
»Beschützen? Vor wem?«
»Vor Geschäftemachern, Kriminellen, Geldgierigen und Journalisten. Die einen wittern das große Geld, Leute wie du und dieser Thaler eine Sensationsstory. Beides muss bekämpft werden. Oder in die richtigen Bahnen gelenkt.«
»Warum dieses Theater?« Ich verstand wirklich nicht. »Der Besitzer des Bildes soll es einem staatlichen Museum als Leihgabe geben, dann ist es in Sicherheit.«
»Oh, nein.« Cortez lachte bitter auf. »Auch aus Museen werden Bilder gestohlen. Außerdem finde ich, dass der Besitzer des Bildes das Recht hat, es zu behalten und zu lieben – ohne Angriffen ausgesetzt zu sein.«
»Okay«, sagte ich. »Das verstehe ich. Aber – was soll ich bei der Sache? Warum ziehst du mich da hinein? Deine Meinung über Journalisten scheint ja nicht die beste zu sein.«
»Ich will, dass du eine Geschichte darüber schreibst. Ich werde dir das Bild zeigen und du wirst niemandem verraten, wo es sich befindet.«
»Warum überhaupt eine Story?«
»Weil die Welt ein Recht darauf hat«, sagte Cortez.
»Und warum gerade ich?« Irgendwas störte mich. »Ich arbeite bei einer Regionalzeitung. Wäre ein TV-Sender nicht geeigneter? Oder ein Journalist einer bekannten Kunstzeitschrift?«
»Das finde ich nicht.« Cortez nahm meine Hand und hielt sie. In meinem Magen flatterte ein Schmetterling.
»Ich vertraue dir – nur dir«, flüsterte er.
»Das glaubst du doch selbst nicht«, sagte ich hart und zog meine Hand weg. »Du kennst mich doch gar nicht.«
»Ach?« Er sah mir tief in die Augen. »Und was war in jener Nacht?«
»Da war ein bisschen Sex.
Weitere Kostenlose Bücher