Grappa 13 - Grappa und die acht Todsuenden
auskommen und die harten körperlichen Arbeiten selbst verrichten«, lächelte er.
»Wie kann ich herausbekommen, ob das Mädchen, mit dem ich gesprochen habe, Luisa Daniel war?«, grübelte ich laut.
»Ich habe ein paar Fotos aus jener Zeit«, erklärte der alte Mann. »Wollen Sie sie sehen? Vielleicht ist das Mädchen, von dem Sie erzählten, ja zufällig dabei.«
Es war zwar nur eine geringe Chance, aber ich wollte sie nutzen.
»Kommen Sie«, sagte er. »Die Kiste mit den Fotos ist auf meinem Zimmer.«
Auf dem Weg dorthin kamen wir an Big Mäc vorbei, der sich auf einer Bank sonnte und den Luftkurort kräftig zuqualmte.
»Können wir?«, fragte er. »Fertig?«
»Nein. Ich fange gerade erst an«, entgegnete ich.
Ein altes Foto
»Das ist es, das Mädchen, mit dem ich gesprochen habe!« Höchst erregt deutete ich mit dem Finger auf ein Mädchengesicht.
»Sind Sie sicher?«, fragte der Geistliche.
»Ganz sicher!«
Das Kind auf dem Bild war von anderen Leidensgefährten umgeben, die brav mit angelegten Armen vor der Linse posierten. Rechts und links der Kindergruppe hatten sich zwei Nonnen in voller Montur aufgebaut. Sie sahen aus wie zu groß geratene schwarzweiße Riesenvögel mit ihren langen weißen Schürzen, ihren verdeckten Haaren und der weggedrückten Brust.
»Dieses Kind also?«, fragte er noch einmal.
»Ja«, bestätigte ich. »Ich bin ganz sicher. Warum?«
»Ich erinnere mich an das Mädchen«, erklärte er leise. »Wenige Monate, nachdem dieses Foto aufgenommen worden ist, hat man die Kleine im Teich gefunden.«
Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter. »Was sagen Sie da?«
Großmann antwortete nicht. Er hatte sich erhoben und lief im Zimmer umher. Ich sah ihm zu wie in Trance, unfähig etwas zu sagen oder sonst wie zu reagieren. Im Teich gefunden ...
»Sagen Sie endlich, was genau passiert ist!«, krächzte ich.
»Das Kind wurde tot aus dem Wasser gezogen. Es konnte nie geklärt werden, ob es ein Unfall, Selbstmord oder Mord war.«
»Hat die Polizei damals ermittelt?«
»Natürlich. Der Fall wurde dann irgendwann zu den Akten gelegt.«
»Wie hieß das Mädchen?«
»Das weiß ich nicht mehr!«, behauptete Großmann.
»Wenn die Polizei im Spiel war, gibt es ein Protokoll«, stellte ich fest. »Und das existiert noch irgendwo.«
Ich zog mein Handy aus der Handtasche und wählte die Nummer von Oberstaatsanwalt Guardini. Mit kurzen Worten fasste ich die Neuigkeiten zusammen, er versprach, sich um das Protokoll von damals zu kümmern.
»Halten Sie mich auf dem Laufenden?«, wollte der Geistliche wissen.
»Natürlich«, nickte ich. »Ich werde Sie anrufen.«
Ich gab ihm die Hand, er wollte sie nicht loslassen.
»Sie werden damit fertig«, sagte er leise.
»Womit?« Ich zog die Hand heftig zurück.
»Mit Ihrem gebrochenen Versprechen«, erklärte er und schaute mir direkt in die Augen. Es ging mir voll ins Herz; das konnte ich nicht gut ertragen. Die gelebte Scheinheiligkeit meiner Jugend stieg in mir auf – sich ducken zum Wohle des Herrn und brav sein für das liebe Jesulein, immer wissend, dass der Heilige Geist alles sieht und die Kirche alles ahndet.
»Natürlich«, sagte ich betont kühl. »Ich werde keine Probleme damit haben.«
»Wenn Sie Beistand brauchen, kommen Sie zu mir«, bot er an.
»Ich will aufklären – sonst nichts«, antwortete ich heiser.
»Wie Sie meinen«, sagte Großmann . »Eifer ist fest wie die Hölle, ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn ...«
»Salomon?«
Er nickte.
In mir kam Ärger hoch. »Wissen Sie was? Ich kann dieses Gesülze langsam nicht mehr hören ... obwohl ich diese Sprache sehr mag. Aber jeder missbraucht sie auf seine Weise. Der Mörder bemäntelt den Tod von sieben Menschen damit und Sie, Hochwürden, versuchen, Ihre Feigheit von damals zu entschuldigen. Statt die Vorkommnisse im Heim grundlegend aufzuklären und die Zustände zu verbessern, haben Sie alles vertuscht. Ihr Gott mag die Wahrheit – Du sollst nicht lügen – so heißt es ja wohl!«
»Sie brauchen nicht zu betonen, dass auch ich Schuld auf mich geladen habe«, wandte der alte Mann ein. »Ich wollte Ihnen nur meine Hilfe und geistlichen Beistand anbieten.«
»Wenn ich so was brauche, trinke ich eine Flasche Wein und gebe mir ordentlich die Kante«, meinte ich grob. »Und dann höre ich Musik und lese ein Buch.«
»Ich habe Gott oft gebeten, mir einen Hinweis zu geben, wie ich meine Schwäche büßen kann«, sagte Pfarrer Großmann leise. »Doch er
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