Grappa 13 - Grappa und die acht Todsuenden
sich daraufhin wieder völlig und begann erneut dieses Lied zu singen.
Ich hatte sie nach ihrem Namen gefragt, sie hatte ihn mir gesagt, doch ich hatte ihn natürlich längst vergessen.
Dann war eine Nonne in der Ferne aufgetaucht. Das kleine Mädchen hatte mich gefragt, ob ich sie noch einmal besuchen käme, und ich hatte es versprochen.
Als die Ordensschwester vor mir stand, zeigte ich auf den geschundenen Arm der Kleinen, verbunden mit der Frage, ob dies der Erziehungsstil sei, der in katholischen Häusern gepflegt würde.
Die Schwester murmelte etwas von einem Unfall beim Spielen, erregt hatte ich ihr die Aussage des Kindes vor den weißen Latz geknallt.
»Gott wird dich für deine Lügen strafen!«, schleuderte sie dem Kind ins Gesicht, woraufhin die Kleine wegrannte.
Dann war Pfarrer Großmann auf uns aufmerksam geworden und hatte mir das Haus verboten. Ich versuchte mit ihm zu reden, doch er ließ sich auf nichts ein. Schließlich war noch der Hausmeister dazugekommen, ein bulliger, grober Kerl mit riesigen Schaufelhänden, Richard Borchert. Jetzt war es wieder da, das Gefühl, das mich beim Anblick dieser Hände überfallen hatte – die Vorstellung, wie sie ein zartes Ärmchen malträtiert hatten oder vielleicht noch mehr taten, hatte mich durchknallen lassen.
»Sie haben sich damals sehr ungewöhnlich aufgeführt«, unterbrach Pfarrer Großmann meine Gedanken. »Sie sind auf Borchert zugegangen, wollten ihn angreifen ... Mich wundert, dass Sie sich nicht mehr daran erinnern.«
»Ja«, murmelte ich. »Vergessen hatte ich es wohl beziehungsweise eher verdrängt.«
»Wie kommt das?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. »Vielleicht, weil ich damals nicht sehr professionell vorgegangen bin. Ein Journalist recherchiert und geht keinem an die Gurgel. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass ich selbst einige Jahre in einem Nonneninternat verbracht habe. Und dass ich diese Zeit vergessen will.«
»War es so schrecklich?«
Ich überlegte: »Ja. Ich war ein wildes Kind und neigte zum Jähzorn. Wollte mich nie unterordnen, habe immer und allem widersprochen und die Strafen, die ich erhielt, nur mit viel Wut im Bauch auf mich genommen.«
»Und dann begannen Sie, Gott und die Kirche zu hassen, nicht wahr?«
»Nein. Gott hasse ich nicht, denn er existiert ja nicht. Ich verschwende so starke Gefühle nicht an ein Phantom. Aber die Kirche und ihre Vertreter, ja, die habe ich wohl gehasst.«
»Und was denken Sie heute? Wie wäre Ihr Leben verlaufen, wenn es diese hassenswerte Institution nicht gegeben hätte?«
»Sie hat die exaltierten Spitzen in meinem Charakter abgeschliffen«, räumte ich ein, »und das ist gut so. Sie entschärft den Menschen und macht ihn fähig, als soziales Wesen mit anderen in Frieden zusammenleben zu können. Aber vielen wird auch das Rückgrat gebrochen, sie werden zu lustfeindlichen, unterwürfigen Kreaturen gemacht.«
»Gott will nicht, dass die Menschen vor ihm kriechen«, meinte Großmann. »Aber die Kirche sorgt manchmal dafür, dass sie es tun – da gebe ich Ihnen schon Recht.«
»Könnte das kleine Mädchen mit den Verletzungen Luisa Daniel gewesen sein?«, nahm ich den Faden wieder auf.
»Ich kann mich an den Namen wirklich nicht mehr erinnern«, sagte der alte Mann.
»Ich habe dem Kind das Versprechen gegeben, es zu besuchen, und habe es nie getan«, wiederholte ich.
»Wir hätten Sie sowieso nicht mehr zu ihr gelassen.«
»Egal. Kinder glauben an das, was Erwachsene ihnen versprechen«, sagte ich. »Wenn sie das nicht mehr tun, sind sie keine Kinder mehr. Wie haben Sie das Problem damals gelöst?«
»Schwester Barbara hat ihn erwischt, als er ein Kind anfasste.«
»Wie weit ist er gegangen?«
»Ich habe ihm während der Beichte entsprechende Fragen gestellt. Er hat wohl seine Finger nicht von den Mädchen lassen können, aber zum Schlimmsten ist es nicht gekommen. Schrecklich war, dass er die Kinder geschlagen hat, wenn er betrunken war.«
»Was haben Sie unternommen?«
»Ich habe den Bischof informiert, ohne das Beichtgeheimnis zu verletzen. Seine Eminenz überließ mir die Sache. Borchert wurde in eine andere Einrichtung versetzt – in ein kirchliches Altenheim, so wie dieses hier. Dann habe ich jeder der Schwestern die Beichte abgenommen und sie ermahnt, dafür Sorge zu tragen, dass so etwas nicht noch mal passiert. Und dann legte ich ihnen eine besonders schwere Buße auf.«
»Welche?«
»Sie mussten künftig ohne Hausmeister
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