Grappa 13 - Grappa und die acht Todsuenden
spricht nicht mehr mit mir – vielleicht erst wieder in der Stunde meines Todes.«
Ich nahm die Hand des alten Mannes, spürte, dass sie leicht zitterte.
»Es wird Zeit zu gehen«, sagte ich. »Mein Kollege wartet auf mich.«
»Gott schütze Sie!« Großmanns Augen waren jetzt von einem neuen Blau, als habe unser Gespräch die Müdigkeit des Alters aus dem Blick weggefegt.
Könnte er hinter allem stecken?, schoss es mir blitzartig durchs Hirn, er sitzt im Altenheim, zieht die Fäden, weil er eine alte Schuld tilgen will?
Nein, das war zu weit hergeholt.
»Vielen Dank, dass Sie so offen waren«, sagte ich und ging.
Im Auto berichtete ich Big Mäc von den neuesten Entwicklungen, ließ aber meinen Part in der Geschichte außen vor.
»Was ist los, Grappa?«, fragte der Fotograf. »Du bist so komisch. Und du hast hektische Flecken am Hals.«
»Hitzewelle. Wechseljahre. Du weißt doch, wie das bei uns Frauen so ist.«
»Nö. Ich bin keine Frau. Also, da war doch noch was, oder?«
»Die Atmosphäre in Altenheimen macht mich immer depressiv«, antwortete ich und das war noch nicht mal gelogen.
Als wir auf die Autobahn auffuhren, fragte Big Mäc: »Wenn das tote Kind wirklich Luisa Daniel ist, dann kann sie ja wohl kaum die Todsündenmörderin sein, oder?«
»Damit hast du hundert Punkte und darfst eine rauchen«, stimmte ich zu.
Der Fotograf ließ keine Sekunde unnütz verstreichen. »Und was dann?«, qualmte er.
»Dann stehen wir wieder am Anfang«, stellte ich fest.
»Dumme Sache, das.«
Keine platte Harmonie
Aufgewühlt von dem Gespräch mit dem Pfarrer scheuchte ich mein Auto mit voll ausgaloppierten Pferdestärken über die Autobahn.
Etwa zehn Kilometer vor Bierstadt klingelte mein Handy. Es war Peter Jansen. Er teilte mir mit, dass ein weiterer Brief des Mörders für mich angekommen sei. Er enthielt das Foto von Richard Borchert, dem ehemaligen Hausmeister. Er wurde mit IRA, der Wut und der Zerstörungslust, in Verbindung gebracht.
»Jetzt fehlt nur noch ein Brief«, sagte ich zu Jansen. »Monika Keller. Dann haben wir die sieben Todsünden komplett.«
»Welche fehlt denn noch?«
»LUXURIA. Das heißt Wollust und Gier.«
»Was habt ihr denn herausgefunden?«
Ich wollte im Moment nicht lang und breit erzählen, vertröstete ihn auf später.
Zurück in Bierstadt trafen sich Jansen, Big Mäc, Nikoll und ich im Konferenzraum.
Ich beschloss, diesmal nichts zu verschweigen, und berichtete von meiner zufälligen Verstrickung in den Fall ... und von dem Versprechen, das ich dem Mädchen damals gegeben und gebrochen hatte.
»Du bist ja ganz fertig, Grappa«, meinte Jansen überrascht. »Vielleicht war das Kind ja gar nicht deine Luisa.«
»Trotzdem. Die Kleine hat mir bestimmt geglaubt. Und ich? Ich hatte sie bestimmt schon vergessen, als ich damals durch die Tür dieses Kinderheims nach draußen ging.«
»Und der Typ hier auf dem Foto hat die Kinder misshandelt?« Nikolls Stimme hatte einen harten Klang. »Gut, dass er dafür bezahlt hat.«
»Wir alle müssen bezahlen für das, was wir tun«, sagte ich. »Einige mehr, andere weniger.«
Ich nahm das Bild und betrachtete Borcherts Gesicht. Abgesehen davon, dass er tot war, sah er aus wie ein harmloser netter Mann im Rentenalter.
Ich griff zu dem Blatt mit dem Psalm, das der Mörder wieder beigelegt hatte.
Verbirg mich vor der Verschwörung der Übeltäter, vor dem Aufruhr derer, die Böses tun! Die ihre Zunge gleich einem Schwert geschärft, bitteres Wort als ihren Pfeil angelegt haben, um im Versteck auf den Unschuldigen zu schießen, plötzlich schießen sie auf ihn und scheuen sich nicht. Sie stärken sich in böser Sache; sie reden davon, Fallstricke zu verbergen; sie sagen: Wer wird sie sehen? Sie denken Schlechtigkeiten aus: Wir sind fertig. Der Plan ist ausgedacht. Und das Innere eines jeden und sein Herz ist unergründlich. Aber Gott schießt auf sie einen Pfeil, plötzlich sind ihre Wunden da. Und sie brachten ihn zum Straucheln, doch ihre Zunge kommt über sie. Alle, die auf sie sehen, schütteln sich.
»Langsam gehen mir diese Psalmen auf die Nerven«, sagte ich. »Als ob die Welt nur aus Klagen und aus Rache besteht.«
»Tut sie doch«, entgegnete Jansen. »Davon leben wir ja schließlich. Wenn alles superharmonisch laufen würde, wären wir arbeitslos.«
»Aber vielleicht glücklich«, sagte ich.
»Wie langweilig!«, grinste Jansen. »Gerade du, Grappa, wärst eine der Ersten, die für Krawall sorgen würde, weil sie platte
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