Grappa 13 - Grappa und die acht Todsuenden
Es muss Mahler sein, ging es mir durch den Kopf, er ist der Totgeglaubte.
Mein PC gab einen hellen Klang von sich – die E-Mail aus dem Polizeipräsidium kündigte sich an.
Schweißgebadet starrte ich auf den Monitor, während sich das Foto des verschwundenen Hans Keller langsam aufbaute.
Hausbesuch
Fotos haben immer eine besondere Wirkung auf mich. Die Kamera hält ja nur den Bruchteil einer Sekunde im Gesicht eines Menschen fest, man erfährt nichts darüber, was er vorher gesagt und danach getan hat. Und dann blicken plötzlich Augen aus einem Bild, lächeln Münder, schimmern Haare. Das Leben auf manchen Fotografien ist wie eine Fata Morgana, zum Greifen nah und dennoch ein Trugbild.
Nein, den Mann, der Hans Keller hieß, kannte ich nicht; er hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit Georg Mahler. Frustriert schaltete ich den PC aus.
»Ich gehe jetzt!« Nikoll hatte den Kopf in mein Zimmer gesteckt. »Schönen Abend wünsche ich dir!«
Abwesend nickte ich. Wo wollte sie wohl hin? Fuhr sie direkt zu dem Treffen mit dem geheimnisvollen Anrufer?
Spontan entschloss ich mich, ihr zu folgen. Das war nicht einfach, sie kannte ja mein Auto und war im Hirn nicht so blond wie auf dem Kopf.
Nikoll Mahler fuhr einen roten Kleinwagen, dem ich mit größerem Abstand folgte.
Du musst damit aufhören, lass es endlich gut sein ... Die Worte hatte sich in mein Gehirn eingebrannt.
Die Blonde parkte vor Mahlers Haus und stieg aus. Sie hatte es anscheinend eilig.
Ich stellte mein Auto ein wenig abseits ab, setzte mich in ein gegenüberliegendes Café, sodass ich die Eingangstür von Mahlers Haus im Blick behalten konnte.
Die Uhr zeigte kurz vor halb acht. Eine Viertelstunde später war noch immer nichts passiert.
Ich wartete.
»Wir schließen gleich!«, teilte mir die Bedienung mit. Es war kurz vor acht.
Ich bezahlte. Erst als ich in der Tür des Cafés stand, sah ich sie endlich. Nikoll ging mit wehendem Mantel auf ihren Wagen zu.
Ich wartete, bis sie losfuhr, rannte zu meinem Cabrio und folgte ihr.
Die jetzt schon früher einsetzende Dunkelheit schützte mich vor Entdeckung. Ich blickte auf meine Tankuhr – der Zeiger stand schon heftig auf Reserve. Verdammt, dachte ich, mehr als zwanzig Kilometer schaff ich damit nicht mehr.
Nikolls Auto wurde langsamer, sie setzte den Blinker und bog in eine Einfahrt ab.
Ich parkte meinen Wagen am Straßenrand und schlich zu der Einfahrt. Nikoll musste bereits ins Haus gegangen sein, denn ihr Auto war verlassen.
Das Haus war schon älter, nicht mehr im besten Zustand, und es lag neben einer Kirche, deren Steine von den Abgasen der Autos schwarz geworden waren.
Solche Gebäude gab es in Bierstadt zu Tausenden, alle in den späten fünfziger Jahren errichtet – mit kleinen Fenstern und grauer bis beiger Fassade, die steingewordene Unauffälligkeit.
Ich ging zum Eingang, um die Namensschilder zu studieren. Da standen zwölf Namen, die mir nichts sagten.
Ich beobachtete die erhellten Fenster, glaubte, in der zweiten Etage die Silhouette der Blonden zu erkennen. Aber da war noch jemand – ein kleiner Mann, der heftig auf sie einzureden schien.
Ich zog mein Handy aus der Tasche, wartete, bis die Frau, die ich für Nikoll hielt, wieder in meinem Blick war, und wählte ihre Nummer.
Der Schatten verharrte, drehte dann ab, vermutlich, um das Mobiltelefon zu suchen.
Ich lauschte, der Ruf ging durch und ihre Stimme sagte: »Ja, bitte?«
»Hier ist Grappa. Ich wollte dir nur erzählen, dass Brinkhoff ein Foto von Hans Keller geschickt hat. Bringt uns aber nicht weiter, er sieht niemandem ähnlich, der uns bisher über den Weg gelaufen ist.«
»Schade«, sagte Nikoll. Ich blickte zum Fenster hoch und sah den Schatten ins Handy sprechen. »Dann müssen wir wohl weitersuchen.«
»Ja, ich wollte dich nur informieren. Hast du einen schönen Abend?«
»Ja, ja«, sagte sie hastig. In diesem Augenblick begannen die Glocken der Kirche zu läuten: Ich hörte sie im Handy und sie zertrümmerten zeitgleich meine Trommelfelle.
Schnell schaltete ich das Handy aus. Ich hatte den Beweis, dass die Frau am Fenster Nikoll war, und sie wusste, dass ich in der Nähe war, denn sie konnte das Glockengeläut in meinem Handy nicht überhört haben.
Nikoll sagte etwas zu der anderen Person. Der Männerschatten trat ans Fenster, öffnete die Gardine und schaute in den Hof. Dann ließ er das Rollo herab.
Der Blick aus dem Fenster hatte nur ein paar Sekunden gedauert. Aber ich hatte den Mann sofort
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