Grappa 14 - Grappa und der Tod aus Venedig
Metrogleise und wurde überrollt.
Ich schälte mich aus meiner Konzertkluft, schminkte mich ab und weckte Kati. Sie knurrte unwirsch, schlug meine Hand zur Seite und schaute mich schließlich mit großen Augen an.
»Bist du es, Grappa?«, murmelte sie.
»Wen hast du denn sonst in meiner Wohnung erwartet?«
»Ich habe gerade geträumt«, brummte sie. »Es war schrecklich.«
»Es ist alles in Ordnung.«
»Ich hab geträumt, dass Rabatt mit einem Messer hinter mir herrennt.«
»Dazu wird er keine Gelegenheit mehr haben. Vergiss den Kerl endlich!«
»Wo kommst du eigentlich her?«
»Aus dem Konzert. Ich wollte mir den Mann ansehen, der gemeinsam mit Hunze in Venedig war.«
»Wiesengrundel?«
»Genau der. Leider war der Meister nicht da. Aber den krieg ich schon noch.«
»Und wie war die Musik?«, gähnte Kati.
»Merkwürdig, aber nicht so grauslich, wie ich befürchtet hatte. Ich glaube, der Mann kann wirklich was. Es hat mir gefallen – ja tatsächlich!«
»Und was wird jetzt?«
»Als Nächster ist Karl Krawottki dran«, verkündete ich – und wusste nicht, wie richtig ich mit diesem Satz lag.
Der Dichter und seine Stimme
Bestimmte Aktivitäten sollte man sich eigentlich vor einem ausgedehnten Frühstück nicht zumuten, doch mir blieb keine Wahl. Die Sonne war gerade aus ihrem Bett gekrochen, im Gegensatz zu Kati.
Mit einem Becher Kaffee hatte ich mich vor den PC gesetzt, um mich auf Krawottki und sein Werk einzustimmen.
Er schrieb Poetische Texte in der Alltagssprache des Ruhrgebietes, so bezeichneten Literaturkritiker sein Treiben . Krawottki hatte eine eigene Homepage im Internet, auf der Kostproben seiner Lyrik präsentiert wurden.
Beherzt klickte ich die Erotischen Texte an. Eines der Gedichte war mit Schrei der Verzweiflung aussem Sägewerk übertitelt:
Alßer ma widder
nächtelang niemand angepackt hat
unschon spürt
wie der Bengel inne Luft verfault
wünschter sich
datter in die Säge gerät
damiter wenichstens
dat waame Blut spritzen sieht.
O weia, das war hart – knüppelhart! Sogar der Laserdrucker stotterte, nachdem er den Befehl zur Arbeit erhalten hatte. Das Gedicht Verklärte Nacht fiel mir wieder ein und ich wunderte mich, dass noch nicht einmal hundert Jahre zwischen diesen Worten und Sichtweisen lagen.
Dehmel war bestimmt kein weltberühmter Dichter gewesen, nicht vergleichbar mit Goethe oder Rilke, aber Krawottkis Poesie war höchstens peinlich.
Der zweite Schock ereilte mich bei der Lektüre eines Artikels, der in einem Kulturmagazin erschienen war. Ein Journalist hatte dem Meister einen Tag lang folgen dürfen, und das las sich so:
Morgennebel. Noch ist sein See richtig idyllisch. Die Strophen einiger Amseln und Meisen und der schwere Flügelschlag eines Schwanenrudels überlagern die Geräusche von Kaffeemaschinen und Klospülungen vom Campingplatz nebenan. Doch unser einsamer Spaziergänger hört sie nicht. Will sie nicht hören. Für Kreativität ist später noch Zeit, Arbeitszeit, vor einem gierig flackernden Monitor zwölf Meter über dem bunten Treiben auf der Kaiserstraße.
Um Viertel nach neun muss Karl Krawottki gehen. Der erste Jogger kündigt sich keuchend an. Es folgen Rentner. Den Dichter schaudert's. »Mit denen da ist das nicht mehr mein See.« Nein, mit solchen Menschen kann der sensible Meister ihn nicht teilen. »Ich bin morgen wieder da!«, ruft er den Schwänen zu.
Was hatte die Witwe Hunze gesagt? Krawottki sei der Schlimmste gewesen, wenn es ums Saufen und Absahnen gegangen sei. Wenn das stimmte, erstaunte es mich doch sehr, dass der sensible Künstler noch vor Joggern und Skatern aus dem Bett kam.
Ich tippte Krawottkis Nummer ins Telefon. Mal sehen, ob er noch zu Hause war oder schon an seinem idyllischen See lustwandelte und sich mit dem Geflügel verbrüderte.
Lange meldete sich niemand, aber ich gab nicht so schnell auf.
»Ja?«, fragte eine Stimme in ziemlich unwirschem Ton.
»Maria Grappa vom Tageblatt «, sagte ich mein Sprüchlein auf. »Spreche ich mit Karl Krawottki?«
»Und wenn?«
»Es geht um den Mord an Ihrem Freund Ansgar Hunze. Ich würde mich gern mal mit Ihnen unterhalten.«
»Das lassen wir lieber.«
»Schade.« Blitzschnell überlegte ich mir eine Taktik. »Ich kann verstehen, dass Sie nichts dazu sagen wollen. Der Schmerz um den Verlust eines lieben Freundes wiegt schwer.«
»Genau«, brummte die Dichterstimme vonne Kaiserstraße.
»Ihre Lyrik ist ja sozusagen der Katalysator für tiefe Gefühle und ich
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