Grappa 14 - Grappa und der Tod aus Venedig
Tagesblättern waren auch nichts anderes. Die Ischenkos selbst hatten sich ja als ›Sexy-Doppelpack‹ angepriesen.
Die Freier der Edelhuren aus dem 16. Jahrhundert waren Bischöfe, Erzbischöfe und Kardinäle gewesen, gehörten dem niederen und hohen Adel an, zählten zum reichen Patriziat oder waren Dichter und Künstler, denen die Frauen obendrein oft Modell gestanden hatten.
Ich las und las und der Zauber der Vergangenheit hüllte mich immer mehr ein, ein Text baute auf dem nächsten auf, ich wollte wissen, was die Venezianer im 16. Jahrhundert gehört, gesungen, gegessen und gesehen hatten, wie sie geliebt und gelebt hatten. Natürlich wusste ich, dass mein Bild nie komplett sein konnte, da ja nur die überlieferten und dokumentierten Fakten vorhanden waren, das Gefühl der Zeiten nicht mehr greifbar war.
Vielleicht ein bisschen, wenn man die Musik von damals hörte oder die Gemälde sah und las, was dazu geschrieben wurde.
Ich fand sogar ein Gemälde, das Veronica zeigte. Einer ihrer Liebhaber war der Maler Paolo Veronese gewesen und sie hatte ihm häufig als Modell gedient. Ich holte mir die Abbildung auf den Schirm: Veronica hatte ein offenes, hübsches Gesicht mit einer zarten Haut, großen blauen Augen und blonde Locken. Sie war ziemlich üppig – nach den schmalen Renaissance-Frauen hatte der Zeitgeschmack wieder nach mehr Fleisch und Formen verlangt. Jedenfalls sah sie sehr sinnlich aus – und war es bestimmt auch gewesen.
Im Internet gab es zudem eine Sittengeschichte aus jener Zeit. In der Epoche war man sexuell offen, eheliche Treue galt als antiquiert, Priester und Nonnen trieben es ungeniert und es gab ausschweifende Sexualpraktiken. Also nicht viel anders als heute. Aber es war halt inspirierender, ein Gedicht über die Verherrlichung des männlichen Sexualorgans zu lesen, als es in so genannten Erotiksendungen immer wieder sehen zu müssen.
So hatte der Kardinal Pietro Bembo, der von 1470 bis 1547 gelebt hatte, über sein bestes Stück ein poetisches Werk verfasst, das als Ode Priapus in die Literaturgeschichte eingegangen war:
...
Knorrenlos ist der Schössling; noch liegt er, doch baldigst erhebt er
Seinen im rötlichen Schein schimmernden Kopf. Und er ist
Immer der gleiche, ob der Himmel glühet im Hundsstern,
Oder ob glitzernder Reif decket das Wintergefild.
Nie verwelket er jemals, da ihm das Wetter nichts anhat,
Und es gibt keinen Ort, wo man vergebens ihn pflanzt.
Keineswegs gibt es nur eine Art, die Triebe zu pflegen,
Schüttle den Stamm, und du hast reichlichen Samen von ihm.
Ob den Samen aufnimmt die Furche, oder ob du den fruchtbarn
Stengel senkest ins Loch, jeglicher Weg führt zum Ziel.
Wenn sich zuerst der Wald in frischen Blättern belaubet,
Sich in strotzender Kraft herrlicher Üppigkeit freut,
Träufeln aus seinem Haupte die ersten Tränen; der Honig
Von dem Hyblagebirg schmecket nicht süßer als sie.
Über alles tut wohl ihm das Streicheln geschäftiger Finger:
Von der Betastung selbst wächst er dir schon in der Hand.
Nicht geringere Freud' – so bezeug ich's, der ich es sehe,
Weil kein Weib daran denkt, daß ich zu sprechen vermag –
Macht die Berührung den ehrbar'n Mädchen, wenn sie ihn umfangen
Und ihn in pressender Hand halten in zartem Verschluss,
Ja, sich neigen zu ihm und mit zärtlichem Munde ihn küssen
Und, weil die Wärme ihn letzt, ihn gar fürsorglich betreun.
Glücklich lächelt sie dann, wenn sich endlich der Schmächtige aufbläht
Und behend durch die Hand schlüpft ihr und durch das Gewand.
Das hatte doch wenigstens Charme und Witz! Welcher Kardinal würde heutzutage so etwas schreiben wollen oder können?
Geilheit ist eben nur dann prickelnd, wenn sie mit Geist einhergeht. Nicht Geiz, sondern Geist ist geil, dachte ich.
Ich ließ mir Badewasser ein, um mich in dem warmen, duftenden Wasser zu entspannen. Mir war nach dem Mandelmilchschaum und schon wieder war ich in Venedig – überlegte mir, was die Damen ins Badewasser geschüttet hatten, um anziehend zu sein und gut zu riechen. Vielleicht Rosenöl oder Eselsmilch.
Als passende Musik legte ich Carlo Gesualdos Tristis est anima mea in den Player. Der Fürst von Venosa hatte ein ausschweifendes und abenteuerliches Leben geführt: Er komponierte hinreißende Musik, brachte seine Frau und deren Liebhaber um, kam ohne Strafe davon, litt aber sein restliches Leben unter der Tat – falls man den Quellen Glauben schenken konnte.
Das Telefon klingelte, als ich schön
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