Grappa 14 - Grappa und der Tod aus Venedig
morgen – so habe ich es mit Jansen vereinbart«, antwortete ich. »Der Verlag zahlt den Flug und das Hotel und ich habe eine Woche Zeit. Ich verspreche, dass ich dich jeden Tag anrufe. Und du mich auch, wenn irgendetwas passiert.«
Leicht angeschlagen gingen wir beide zu Bett. Es tat mir schon wieder Leid, mit ihr Tacheles geredet zu haben, aber gleichzeitig fühlte ich mich auch erleichtert. Ich war nun mal nicht der Typ, der seinen Unwillen längere Zeit verbergen konnte.
Egal. Ich hatte noch viel zu tun bis zum Abflug. Auf meinem Nachttisch lag bereits ein Reiseführer der Lagunenstadt. Ich begann, den Stadtplan zu studieren. Mein Hotel lag in der Nähe der Frari-Kirche – ziemlich zentral im Stadtteil San Polo.
Löwensäulen
Das Flugzeug zog einen langen Bogen übers Meer und da lag die Stadt in der Sonne! Der Markusplatz mit dem Dogenpalast und der Kirche San Marco war gut zu erkennen und der Campanile ragte in den klaren blauen Himmel.
Wer nicht mit dem Flugzeug, sondern mit dem Schiff in die Stadt reiste, kam mit dem öffentlichen Boot, dem Vaporetto, am Markusplatz an.
So sah er ihn wieder, den erstaunlichsten Landungsplatz, jene blendende Komposition phantastischen Bauwerks, welche die Republik den ehrfürchtigen Blicken nahender Seefahrer entgegenstellte: die leichte Herrlichkeit des Palastes und die Seufzerbrücke, die Säulen mit Löw' und Heiligem am Ufer, die prunkend vortretende Flanke des Märchentempels, den Durchblick auf Torweg und Riesenuhr ... So hatte Thomas Mann die Ankunft seines Helden Aschenbach in der Novelle beschrieben.
Meine Landung war weit weniger poetisch. Das kleine Flugzeug rumpelte kräftig beim Aufsetzen und mein Gepäck war mal wieder das letzte Teil, das auf dem Laufband der Gepäckausgabe lag. Der Bus vom Flughafen in die Stadt fuhr mir vor der Nase weg. So stand ich da in ziemlicher Kälte, mein Atem beschlug die Gläser der Sonnenbrille, und ich musste mich der zahlreichen Fremdenführer erwehren, die nach meinem Koffer grabschten und mich in die Stadt bringen wollten. Andere empfahlen mir ein Hotel, noch andere steckten mir Werbezettel von Restaurants zu, in denen man göttliche Speisen zu servieren versprach.
Ich schaltete auf stur und war froh, als endlich der nächste Bus kam. Der fuhr stolpernd durch Vororte, die mit venezianischem Flair nichts zu tun hatten, noch nicht mal mit mediterranem Ambiente.
Der Busfahrer hob mir meinen Koffer aus dem Fahrzeug, als wir an der Piazzale Roma ankamen, wo sich der Busbahnhof von Venedig befand. Von hier aus konnte ich entweder zu Fuß in die Altstadt gehen oder ein öffentliches Boot nehmen.
Ich zeigte dem Busfahrer den Stadtplan und nannte den Namen des Hotels. Er deutete auf einen Weg und es sollte wohl heißen, dass ich nur geradeaus zu laufen hatte.
Es war gegen Mittag und ich geriet sofort auf einen kleinen Markt am Rande eines Kanals. Einige Stände wirkten wie improvisiert – lediglich ein paar Holzkisten waren übereinander gestellt worden, die oben ein Karton mit Meeresfrüchten krönte. Langsam überkam mich wenigstens das Gefühl, in Italien zu sein.
»Muscheln, Seepferdchen, Quallen und seitlich laufende Krebse ...«, sagte ich in Mann'schem Hexameter vor mich hin. So hatte der Schriftsteller das beschrieben, was sein Abgott am Lido-Strand gesammelt hatte, und genau die Viecher lagen jetzt hier. Unwillkürlich musste ich lachen.
Der Besitzer des Getiers schaute überrascht hoch, fragte mich etwas, vermutlich, ob ich ihm etwas von seiner Ware abkaufen wolle. Ich schüttelte den Kopf und fragte ihn nach dem Hotel. Er hob den Arm und deutete eine Gasse hinein.
Alle Wege in Venedig schienen zunächst ins Geradeaus zu führen. Ich lief weiter und zog den Koffer hinter mir her.
Mehrere kleine Brücken waren zu überwinden, manche aus einfachem Holz, andere aus Stein und Marmor, einigen sah man das Alter an, die Handläufe waren abgewetzt und die Stufen in der Mitte eingebuchtet. Ob Veronica Franco, die blonde Kurtisane und Dichterin, ihre Füße vielleicht auch auf diese Steine gesetzt hatte?
Wieder einmal wunderte ich mich, dass tote Materie so viel länger Bestand hatte als Fleischliches, das längst zu Erde, Staub oder Gas geworden war.
Was würde wohl von mir überdauern? Oder von Kati? Meinetwegen auch von Karl Krawottki, der sich mit seinen Versen ja redlich bemüht hatte, unsterblich zu werden?
Solange ich mit meinen Schreibereien keine Revolutionen auslöste, würde ich in hundert Jahren auch
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