Grappa 14 - Grappa und der Tod aus Venedig
wohnt!« Ich deutete auf die vierte Etage.
»Wir haben keine Frau mit einem Kind gefunden.«
»Haben Sie die Wohnung denn nicht durchsucht? Da wohnt eine Frau mit einem Säugling. Die müssen doch da drin gewesen sein!«
»Moment.« Der Feuerwehrmann sagte etwas in sein Funkgerät, bekam wohl auch eine Antwort, denn er lauschte.
»In den Wohnungen ist niemand mehr«, versicherte mir der Mann. »Wir haben alle rausgeholt. Also beruhigen Sie sich!«
Ich lief vor dem Haus auf und ab, doch ich sah keine Betty Blue mit dem Baby auf dem Arm.
Ein Polizeiwagen mit Blaulicht fuhr vor und bremste hart. Kati stieg aus und kam auf mich zu.
»Ich hab eben erst mein Handy abgehört«, erklärte sie. »Körner hat mich hierher geschickt. Meinst du, dass es ein Anschlag auf die Zeugin war?«
»Ich glaube nicht an Zufälle. Betty Blue und der Kleine sind jedenfalls nicht da«, berichtete ich. »Hoffentlich hat der Mörder die beiden nicht erwischt.«
Sie verschwand, um mit dem Einsatzleiter zu sprechen, und ich rief Jansen an, um das meine zu tun.
Er hatte Spätdienst in der Redaktion und wusste bereits, dass es brannte, ein ›Bluthund‹ hatte ihm schon Fotos angeboten. Doch die Zusammenhänge waren ihm nicht klar gewesen.
Wir einigten uns, dass er nur ein Foto und einen kurzen Text ins morgige Blatt hob und dass ich mich später ausführlich um die Story kümmern würde.
Im Moment gab es nichts zu tun für mich. Inzwischen hatte die Feuerwehr ganze Arbeit geleistet – die Flammen waren erstickt und das Haus qualmte nur noch. Die Männer begannen mit den Aufräumarbeiten, warfen Gegenstände auf die Straße, um dem Feuer keine Chance zu geben, wieder aufzuflammen.
Zu den Tigern
»Grappa!« Ich schreckte hoch. Kati stand vor mir, noch im Mantel und die Handtasche über der Schulter.
»Weißt du was Neues?«
»Keine Spur von Betty Blue und dem Baby«, berichtete sie. »Niemand hat sie gesehen. In der Wohnung waren sie jedenfalls nicht. Also müssen sie noch leben.«
»Vielleicht hat der Mörder sie entführt.« Fröstelnd hockte ich auf dem Sofa, noch nicht ganz wach.
»Vielleicht ist sie auch nur verreist«, wandte Kati ein. »Warum sollte sich ein Mörder mit einer Frau und einem kleinen Kind belasten?«
Das klang logisch.
»Soll ich dir morgen von der Hausdurchsuchung bei Wiesengrundel erzählen?«, fragte Kati.
»Nein, jetzt. Ich bin schon wieder ganz wach.«
Kati lachte. »Das sehe ich! Du hast wirres Haar und deine Augen sind ganz klein.«
»Das kommt vom Qualm. Ich vertrag so was nicht. Ich mache uns mal einen Kaffee.« Mühsam rappelte ich mich hoch.
»Ich muss aus den Klamotten raus. Ich geh mal schnell ins Bad.« Kurz darauf hörte ich Wasser rauschen.
Ich brachte die Kaffeemaschine in Gang, verschüttete einen Teil des Pulvers, ärgerte mich darüber und fragte mich schließlich, warum ich in den letzten Tagen so erschöpft war, über den speziellen Sinn meines Daseins nachdachte, nichts als gegeben hinnahm, bei allem einen Haken suchte, an dem ich mich aufhängen konnte.
Oder lag es an Kati, die nervte? Ständig räumte ich hinter ihr her, hatte aber nicht den Mut, ihr zu sagen, dass es für mich einen Unterschied zwischen Gastgeberin und Putzfrau gab und sie meine Geduld arg strapazierte.
Du musst raus hier, überkam es mich. Auf dem Tisch lag die Novelle von Thomas Mann. Da gab es auch so eine Stelle vom plötzlichen Überdruss, von dem Willen, das Gewohnte hinter sich zu lassen und sofort zu fliehen: Es war Reiselust, nichts weiter; aber wahrhaft als Anfall auftretend und ins Leidenschaftliche, ja bis zur Sinnestäuschung gesteigert. Er sah nämlich, als Beispiel gleichsam für alle Wunder und Schrecken der mannigfaltigen Erde, die seine Begierde sich auf einmal vorzustellen trachtete – sah wie mit leiblichem Auge eine ungeheure Landschaft, ein tropisches Sumpfgebiet unter dickdunstigem Himmel, feucht, üppig und ungesund ...
Ja, ich wollte weg, wenn auch nicht gerade bis zu den Tigern. Eine Stadt – von Wassern umgeben und von Kanälen durchzogen – würde auch schon reichen. Und die hieß Venedig.
Kati tauchte auf, in ein Badetuch gehüllt. »Was liest du da?«
»Das weißt du doch«, antwortete ich. »Die Novelle vom Tod in Venedig.«
»Ist der Kaffee fertig?«
»Ja, klar!« Gnädig nahm sie die Tasse entgegen und fragte: »Zwei Stückchen Zucker?«
»Wie es Mylady mögen – zwei Stück Zucker.« Sie begriff die Ironie nicht, sondern lachte unschuldig. Was würde sie wohl
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