Grappa 14 - Grappa und der Tod aus Venedig
bleiche Stirn. Was drinnen sie erblickt,
Das sie erstarren machte, weiß ich nicht.
(Vielleicht den Herzgeliebten, welcher sie
An eines andern Weibes Brust verriet.)
Ich aber sah den feinsten Mädchenkopf
Vom Tod entfärbt. Ein Antlitz voller Tod!
Die Mutter führte weg die Schwankende ...
Die beiden Tiziane blieben mir
Stets gegenwärtig; löschen sie, so lischt
Die Göttin vor dem armen Menschenkind.
Mich schauderte und meine Aufregung wuchs. Ich ahnte, dass an diesem Abend etwas Entscheidendes geschehen würde – alle Zeichen deuteten darauf hin: der Hinweis auf das Konzert mit einer Sängerin namens Veronica Franco, deren Namensgleiche vor knapp fünfhundert Jahren ein Gedicht über Verrat geschrieben hatte, dann das berühmte Tizian-Bild, das auch aus dieser Zeit stammte, das Venedig-Gedicht von Meyer, das das Leid einer betrogenen Frau zum Thema hatte.
Alles Einbildung, Grappa, sagte meine Vernunft, Verrat in Liebesbeziehungen ist so alt wie die Menschheit und immer wieder haben sich Dichter, Musiker und Maler damit beschäftigt.
Ich drosselte meine Aufgeregtheit, widmete mich meinem Outfit für heute Abend. Da ich doch nicht mehr shoppen gewesen war und nur ein kleines Sortiment meiner Garderobe mitgenommen hatte, fiel die Wahl nicht schwer: schwarzer Hosenanzug, tomatenrote Bluse, flache Lackschuhe und ein kornblumenblaues Seidentuch für den Hals. Das Rot meiner Haare kollidierte arg mit der Tomatenfarbe. Egal, Baci war Künstler und würde das Exzentrische bestimmt goutieren, außerdem hatten Kirchen genug dunkle Ecken, in denen ich mich notfalls verstecken konnte. Ich schminkte mich etwas dramatischer als sonst und sah anschließend leicht lungenkrank aus, aber es passte zu der morbiden Stadt.
Kati dagegen war blendend blond, wieder einigermaßen fit und hübsch angezogen. Bevor ich über die Vorteile der Jugend und die Schwermut des Alterns philosophieren konnte, sagte Kati: »Du siehst echt geil aus, Grappa!«
Ob das ein Kompliment war? Wohl doch, denn sie schloss sofort den Satz an: »In diesem Outfit legst du jeden Kerl flach.«
»Habe das lange nicht mehr geübt«, wandte ich ein.
»Zerr ihn doch in der Kirche in den Beichtstuhl«, schlug Kati vor. »Da sind Gardinen vor. Hab so was mal in einem Sexfilm gesehen. Müsste klappen.«
»Ich glaub nicht, dass er sich zerren lässt«, grinste ich. »Der will bestimmt selbst zerren. Wenn überhaupt.«
»Hast du schon mal einen Mann verführt, der nicht wollte?«
»Würde ich niemals tun!«, behauptete ich. »Gewalt gegen Männer ist mir ein Gräuel. Solche Attacken verletzen ihre zarten Seelen nur und verschrecken sie auf lange Zeit. Und jetzt los! Ein echt venezianischer Kunstgenuss wartet auf uns.«
Auf dem Weg zur Kirche kaufte ich an einem Blumenstand eine langstielige rote Rose.
»Du willst ihm eine Blume schenken?«, fragte Kati überrascht.
»Alle seine Freunde und Bewunderer tun das«, erklärte ich.
»Ist er denn so bekannt?«
»Natürlich. Seit Generationen werden rote Rosen auf sein Grab gelegt und ich will da keine Ausnahme machen.«
»Von wem redest du eigentlich?« Kati sah mich konsterniert an.
»Von Monteverdi natürlich. Er liegt in der Kirche begraben. Und zwar seit dreihundertsechzig Jahren.«
Sie begann zu glucksen. »Ich dachte, du meintest Baci, den Koch.«
»Ich hoffe, der ist noch etwas lebendiger«, lachte ich.
Von außen sah die Kirche nicht besonders aufregend aus, ihr Reiz für Kunstliebhaber verbarg sich wohl in ihrem Inneren.
»Ist er schon da?«, fragte Kati.
»Ich sehe ihn noch nicht.«
»Komischer Bau«, meinte sie – der Frari einen flüchtigen Blick gönnend. »Die deutschen Kirchen gefallen mir besser. Wie alt ist die denn?«
»1445 war sie fertig«, klärte ich sie auf. »Etwa hundert Jahre haben sie dran gebaut.«
»Deshalb sieht sie so zusammengestückelt aus.«
»Es gibt sicher schönere«, räumte ich ein. »Ich würde lieber wissen, wo Baci bleibt!«
»Ich schlage übrigens vor, dass wir uns voneinander getrennt setzen«, sagte Kati.
»Warum denn das?«
»Ist doch besser, wenn wir uns verteilen«, erklärte sie. »Ihr setzt euch nach vorne, ich nach hinten. So können wir die ganze Kirche im Blick behalten.«
Die Idee war gar nicht so dumm.
»Dann solltest du dich jetzt verziehen«, schlug ich vor. »Baci weiß sowieso nicht, dass ich dich mitbringe.«
»Vielleicht ist er ja der Mörder. Du solltest ihm nicht zu sehr vertrauen, Grappa.«
»Dann müsste er ein Motiv
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