Grappa 14 - Grappa und der Tod aus Venedig
auch schon mal die Gräber eurer Künstler mit netten Sachen bewerfen.«
»Klar, ohne euch wäre die Stadt wahrscheinlich schon im Meer versunken«, grinste Baci. »Aber Ihre Rose ist wirklich sehr schön. Wie sie dort liegt! Willig hingegeben und noch voller Leben, aber bald wird auch sie den Weg alles Irdischen gegangen und zu Staub zerfallen sein. Wie der Meister unter der Platte hier.«
»Wie er wohl gewesen sein mag?«, fragte ich. »Was hat er am liebsten gegessen? Welche Cantina hat er am liebsten besucht? War er nett zu seiner Frau? Merkwürdig, dass immer nur das Werk bleibt und nie der Mensch.«
»Sie wären bestimmt enttäuscht, Madonna«, sagte Baci. »Vielleicht war er ein griesgrämiger Mann mit Verdauungsproblemen, ein Ekel, der seine Diener schlecht behandelt hat. Es ist deshalb gut, dass nur das Werk bleibt.«
»Ich würde es trotzdem gern wissen. Schade, dass es noch keine Zeitmaschinen gibt. Ich würde mir sofort eine zulegen und jeden Tag eine kleine Reise unternehmen.«
Baci lachte und drückte zärtlich meinen Arm. »Wir müssen uns jetzt einen Platz suchen«, meinte er dann. »Einen Platz, von dem wir alles überblicken können. Kommen Sie!«
Ich folgte ihm, er ging nach rechts, dort standen die Stühle, die extra für das Konzert hineingetragen worden waren, in einem halben Rund. Es war ideal. Wir hatten einen guten Blick auf das Orchester und konnten die ersten zehn Stuhlreihen überblicken. Kati war von hier aus allerdings nicht mehr zu sehen.
Die Stuhlreihen füllten sich und es kehrte langsam Ruhe ein. Im Hintergrund hörte ich, dass das Portal geschlossen wurde. Dann kamen die Musiker. Es waren weniger, als ich gedacht hatte, ein paar Streicher und Flöten und die Sänger.
»Sehen Sie schon jemanden, den Sie kennen?«, raunte ich Baci zu. »Wiesengrundel vielleicht?«
»Nein, er wird sich auch bestimmt nicht in die erste Reihe setzen.«
»Vielleicht doch. Ich bin sicher, dass er mich hier treffen will. Sonst hätte er mir nicht den Zettel schicken lassen.«
»Sind Sie sich Ihrer Sache immer so sicher?«, fragte Baci.
»Er muss es gewesen sein!«
Hinter uns zischte jemand und wir beendeten die Diskussion. Ich widmete mich dem Programm.
Die Künstler würden Teile aus verschiedenen Monteverdi-Madrigalbüchern singen, die als Madrigali erotici e spirituali bezeichnet wurden. Und noch ein Stück, das Lamento d'Arianna hieß. Und dieses würde von Veronica Franco gesungen werden.
Inzwischen waren sechs Sänger auf der Bühne, nach Plan zwei Sopranistinnen, ein Alt, zwei Tenöre und ein Bass. Hinzu kamen sechs Violinen, vier Violen, zwei Gambas, eine Violone und die Truhenorgel.
»Da ist er! In der zweiten Reihe ganz rechts«, flüsterte Baci mir plötzlich zu, »da sitzt Wiesengrundel.«
Angestrengt starrte ich in die angegebene Richtung. Das Dunkel der Kirche verschluckte die Einzelheiten, einige Lichtspots waren auf die Musiker gerichtet, was die Sicht in den Publikumsraum noch zusätzlich behinderte.
Nur zögerlich konnte ich in dem Dunkel Konturen erkennen und wunderte mich, dass Baci jemanden identifiziert haben wollte.
»Wie komm ich denn da jetzt hin?«, fragte ich.
»Gar nicht. Sie bleiben hier!«, kam es prompt und unmissverständlich zurück. »Wir warten, bis das Konzert zu Ende ist.«
Ich fügte mich und beschloss, die Musik zu genießen. Wiesengrundel war ja extra hierher gekommen, um sich zu zeigen – zumindest, wenn meine These zutraf.
Si, ch'io vorrei morire, ch'io vorrei morire: Hora, ch'io bacio amore la bella bocca del mio amato core ...
Ich verstand nicht viel von dem Text, aber es ging ums Sterben aus oder vor Liebe, einen schönen Mund und Liebesküsse.
Ahi, bocca! Ahi, baci! Ahi, lingua!, schallte es mehrstimmig durch die Kirche. Oh, Mund! Oh, Küsse! Oh, Zunge!
Es schien, als ob die Sängerin nach Baci rief. Ob er wohl seinem Namen, der ja ›Küsse‹ bedeutete, Ehre machte?
Der Schatten in der zweiten Reihe, der Wiesengrundel sein sollte, war noch immer da. Der Mann, der links neben mir saß, hielt ein Opernglas in der Hand und ich veranlasste ihn mit Gesten, es mir zu leihen.
Ja, jetzt sah ich den dunklen Mann etwas besser, konnte die Gesichtszüge erahnen. Der Mann hörte konzentriert zu, hatte die Augen geschlossen. Er wirkte erschöpft, aber konnte ich das wirklich beurteilen? Meine Fantasie und meine Vorurteile hatten mich schon oft hinters Licht geführt und meine mangelnde Menschenkenntnis wurde nur noch von meiner räumlichen
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