Grappa 14 - Grappa und der Tod aus Venedig
Sie alle Zeit der Welt! Ich werde Sie morgen früh im Frühstücksraum Ihres Hotels erwarten. Um neun Uhr.«
Ich war viel zu müde zum Streiten und stimmte zu. Als ich kurz darauf im Bett lag, fiel mir auf, dass er offenbar wusste, in welchem Hotel ich logierte. Aber vielleicht hatte ich es auch mal zufällig erwähnt – und es war auch wohl egal.
Mir fielen die Augen zu, doch ich landete nicht in der Entspannung, sondern in einem Traum. Er katapultierte mich geradewegs in auseinander gerissenes dunkles Blauviolett vom Wind gepeitschter Wolken. Die Umrisse der Palazzi ähnelten gebleichten Knochenhaufen. Ich hörte Donnern und die Gondel, in der ich saß, wankte gefährlich. Auf den Spitzen der Wellen sammelte sich weißer Schaum.
Ich versuchte, das Gesicht des Gondoliere zu erkennen, um die Gefährlichkeit der Lage an seiner Miene ablesen zu können, aber er hatte kein Gesicht mehr, sondern trug eine Maske, wie ich sie in den Werkstätten der Stadt gesehen hatte: weiß, mit einer stark verlängerten gebogenen Nase.
Nebel zog auf und die Gondel drehte sich um ihre Achse. Plötzlich eine Stimme im Wasser: Hilfe! Hilfe! Ich beugte mich nach vorn und sah einen Schatten, reckte meinen Arm über den Rand des Bootes in die Richtung, aus der ich die Rufe zu vernehmen glaubte. Da griff plötzlich eine Hand durch den Nebel und berührte meine Finger. Ich packte zu und zog und zog ... Doch der Mensch im Wasser rührte sich nicht vom Fleck, auch nicht, als ich ihm den zweiten Arm bot und wieder zog.
Jetzt war ich ungesichert in der Gondel und merkte, dass ich bereits mit dem Oberkörper über der gekrausten Wasserfläche hing. Ich wollte den Schwimmer loslassen, um eine andere Möglichkeit der Rettung zu erkunden – es lagen bestimmt irgendwelche Seile oder Ähnliches in der Gondel –, aber er ließ meine Hände nicht los.
Und dann kam es, wie es kommen musste, ich wurde aus dem Boot gezogen und versank im Wasser. Es ging gleich in die Tiefe und ich strampelte mit den Beinen – meine Hände waren ja noch immer gefangen. Plötzlich verschwand der Nebel und es wurde hell, und je lichter das Wasser wurde, umso mehr konnte ich erkennen.
Alle Geräusche verschwanden, kein Rufen und kein Geräusch von Wasser an Holz klatschend mehr und ich sah den Menschen, der meine Hände gegriffen hatte – es war Betty Blue, die kleine Thailänderin mit dem Baby. Sie lächelte mich merkwürdig an, die schmalen Augenschlitze weit geöffnet, die Lippen geschlossen. Ihre Haare umzüngelten sie wie schwarzes Feuer. Sie zog mich zu sich hin und ich bekam Angst. Du bist doch tot, schrie ich, lass mich los!
Ihre Arme hatten viel Kraft und ich zog die Beine an, um mich von ihrem Körper abzustoßen, doch sie wich mir aus. Dann beobachtete ich uns beide, wie wir miteinander rangen – noch immer unter Wasser. Ich bin bestimmt schon längst ertrunken, schoss es mir durch den Kopf.
Schwaches Motiv
Es war Peter Jansen, der mich aus dem Traum befreite. Ich brauchte einige Zeit, bis ich wieder denken konnte.
Er berichtete, dass die Staatsanwaltschaft in Bierstadt eine Pressemitteilung herausgegeben hatte. In ihr stellte der Staatsanwalt Dr. Körner fest, dass das Motiv für den Vierfachmord im internationalen Drogenhandel zu suchen sei. Die Kommunikation zwischen der Polizei in Venedig und Bierstadt funktionierte also.
»Damit hättest du wohl nicht gerechnet, Grappa?«, foppte mich mein Chef. »Diese Auflösung ist dir doch bestimmt nicht dramatisch genug. Keine Story von Liebe, Eifersucht und Rache.«
»Körner spinnt«, stellte ich fest. »Die haben zwar Kokain hergestellt, aber wo ist das Motiv für die Morde? So einfach ist die Sache nicht.«
»Warum stand in unserer Zeitung eigentlich noch nichts von dem Labor? Wieso muss ich davon durch die Staatsanwaltschaft erfahren?«
»Die haben es doch gestern Nachmittag erst ausgehoben!«, verteidigte ich mich. »Und ich war leider nicht dabei und habe es erst abends mitbekommen. Zu spät für euch. Ich wollte heute Kontakt mit der venezianischen Polizei aufnehmen und dann den Artikel schreiben.«
»Okay, dann mach das bitte so bald wie möglich.« Er schien besänftigt zu sein. »Ich gehe gleich zur Staatsanwaltschaft und höre mir mal die Argumentation von Körner an. Und die stellen wir dann deinem Bericht gegenüber. Unsere Leser jedenfalls mögen deine Artikel, der Verkauf am Kiosk geht wie geschmiert.«
»Dann habt ihr doch die Kosten für meine Reise längst wieder drin.«
»Stimmt.
Weitere Kostenlose Bücher