Grappa 14 - Grappa und der Tod aus Venedig
Gefühl, das mich immer so verletzbar machte, wie der Teufel das Weihwasser.
Und wieder musste ich an Manns Helden Aschenbach denken, den armen Tropf, der sich wegen Eros' Lächeln zum Narren machte: Es war das Lächeln des Narziss, der sich über das spiegelnde Wasser neigt, jenes tiefe, bezauberte, hingezogene Lächeln, mit dem er nach dem Widerscheine der eigenen Schönheit die Arme streckt, – ein ganz wenig verzerrtes Lächeln, verzerrt von der Aussichtslosigkeit seines Trachtens, die holden Lippen seines Schattens zu küssen, kokett, neugierig und leise gequält, betört und betörend.
Wenig später flüstert der Dichter die stehende Formel der Sehnsucht und sagt – ohne dass es der Junge hören kann: Ich liebe dich! Damit war Aschenbachs endgültiger Untergang besiegelt.
»So. Darf ich zu Tisch bitten?«, fragte Michelangelo und goss Champagner ein. Er ließ sich aufs Bett sinken, mir gegenüber, die Schürze hatte er durch knappe Shorts ersetzt und sich ein Hemdchen übergezogen.
Plötzlich war der Raum mit Musik gefüllt, die aus allen Ecken zu kommen schien. Es war nicht Monteverdi oder Vivaldi, sondern ganz eindeutig etwas Rockiges, und als der Sänger mit seinem Lied begann, erkannte ich ihn: Elvis Presley. Für einen Moment haute mich die Musikauswahl um, doch dann fand ich es lustig.
Michelangelo hatte mein Erstaunen registriert und grinste. »Madonna, das Leben sollte nicht immer vorausschaubar sein! Erst Brüche und Peinlichkeiten machen es lebenswert und originell. Aber ist das Lied nicht schön? Passt es nicht hierher?«
Ich hörte hin. Ja, er hatte Recht.
Maybe I didn't treat you
Quite as good as I should have
Maybe I didn't love you
Quite as often as I could have
Little things I should have said and done
I just never took the time
You were always on my mind
You were always on my mind
...
Maybe I didn't hold you
All those lonely, lonely times
And I guess I never told you
I'm so happy that you're mine
If I make you feel second best
Girl, I'm sorry I was blind
You were always on my mind
You were always on my mind
...
Die Stimme des Sängers war weich und melodisch, ein wenig traurig. Schweigend saßen wir auf dem Bett, pickten ab und zu in den Köstlichkeiten herum und tranken den kühlen Champagner. Warum hatte er diesen Titel gewählt?
Vielleicht, weil das Lied auch ein Lamento war, das Klagelied eines Mannes, der merkt, dass er seine Geliebte verliert.
Wir aßen gemächlich und fütterten uns, redeten und neckten uns. Als das Telefon klingelte, ließ Michelangelo von mir ab. Er telefonierte kurz und kehrte dann zurück.
»Das war die Polizei«, erklärte er. »Im Keller des Palazzo Contarini del Bovolo ist ein Labor entdeckt worden. Dort wurde in großem Ausmaß Kokain hergestellt.«
Chimärenstadt
Das schnelle Taxiboot hatte mich durch die nächtlichen Kanäle zurück zum Piazzale Roma gebracht und ich hatte die kalte Nachtluft und die Atmosphäre genossen: die Bogenfenster der Palazzi am Wasser, meist mit weißem Stein eingefasst, das Dunkel der Wände, das warme Licht, das durch die Fenster drang und sich im Wasser widerspiegelte.
Kati ging es besser. Sie hatte den ganzen Tag im Bett verbracht und war sicher, morgen wieder aufstehen zu können. Ich erzählte ihr von der Entdeckung des Drogenlabors und sie wunderte sich, dass sich die Sache so entwickelt hatte. Mehr jedoch war sie an meinen Erlebnissen mit Michelangelo interessiert, konnte ihre Neugierde nicht zügeln.
»Du strahlst ja so von innen heraus«, behauptete sie. »Er muss wohl gut im Bett sein, oder?«
Ich antwortete nicht. Eine merkwürdige Scheu hatte mich befallen. Auch wenn wir bisher immer offen über erotische Dinge gesprochen hatten – das ging zu weit. Der Abend gehörte mir allein und ich würde seinen Verlauf nicht mit Kati diskutieren.
Ich verzog mich auf mein Zimmer, überlegte noch kurz, ob ich mir Notizen machen sollte. Nein, heute nicht mehr. Der Tag war so voller neuer Eindrücke gewesen und ich musste sie erst mal in Ruhe sortieren. Außerdem war ich todmüde.
Ich hatte mich gerade bettfertig gemacht, als das Handy klingelte. Es war Rabatt.
»Ich habe die Informationen aus den Polizeiakten«, knatterte er mir ins Ohr. »Wann können wir uns sehen?«
»Mal gucken«, gähnte ich. »Lassen Sie uns morgen nochmal telefonieren, ja? Ich will jetzt schlafen.«
»Wie Sie wollen.« Der Oberstaatsanwalt schien beleidigt. »Erst konnte es Ihnen nicht schnell genug gehen und jetzt haben
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