Grappa 14 - Grappa und der Tod aus Venedig
Ziemlich genervt ging ich ins Wohnzimmer zurück, sie hatte das Schlafsofa halb ausgezogen, alle Kissen zusammengesucht und es sich richtig schön bequem gemacht: Auf dem schwarzen Stoff waren Krümel verteilt. Auch ein wenig Wein musste wohl auf die Liegefläche geflossen sein, denn ich bemerkte feuchte Flecken. Kati hatte anscheinend versucht, die Nässe mit Zellstofftüchern aufzutupfen, sodass sich Teile des weißen Papiers dekorativ neben den Krümeln positioniert hatten.
Bitte, Grappa, sei sozial kompatibel und schweig, sagte ich mir. Es ist völlig normal, dass deine Sachen verschmutzt werden, dein Geschirr beschmiert und dein Kühlschrank leer gefressen wird, nun stell dich verdammt nochmal nicht so zickig an. Gib ihr nicht das Gefühl, dass sie eine elende Schlampe ist.
Ich seufzte. Bedauerte meine Unzulänglichkeiten, meine fehlende politische Korrektheit, schalt mich Egoistin, bekannte mich endlich dazu, eine spießbürgerliche kapitalistische Spaßbremse zu sein, und sagte leise: »Ich fahre jetzt kurz in die Redaktion und bin in etwa einer Stunde wieder zurück. Bis dahin hast du meine Wohnung gesäubert, das Geschirr gespült und mein Sofa von Essensrückständen befreit. Und falls du keine Lust dazu hast, dann pack deine Sachen und verschwinde! Dann räume ich deinen Dreck weg.«
Mit schlechtem Gewissen saß ich wenig später in der Redaktion, checkte meine E-Mails, arbeitete die Zeitungen durch, die ich wegen meiner Dienstreise nicht hatte lesen können. Ich verbot mir Gedanken an Kati. Mein Auftritt war ein Befreiungsschlag gewesen – und zwar für uns beide. Sie würde damit klarkommen.
Die Stunde, die Kati zum Hausputz nutzen sollte, war verstrichen. Ich verließ die Redaktion wieder, wünschte dem Pförtner noch einen schönen Sonntagabend und fuhr nach Hause.
Als ich die Tür aufschloss, war alles dunkel. Ich machte Licht und ging ins Wohnzimmer, alles war aufgeräumt und sauber, auch die Küche war blitzblank und das Geschirr stand sauber im Schrank, das Gästezimmer war unbewohnt und nichts erinnerte mehr an einen Gast.
Auf dem Tisch lag ein Zettel. Tut mir Leid. Danke für deine Gastfreundschaft.
Hektischer Hexameter
Der Kinderarzt – schoss es mir durch den Kopf. Ich hatte Betty Blue und das Baby damals dorthin gefahren, weil der Kleine eine Erkältung hatte. Dass sie hier die neue Adresse angegeben hatte, war unwahrscheinlich, aber trotzdem eine vage Möglichkeit. Wohnungen werden schneller gewechselt als Ärzte, zu denen man Vertrauen aufgebaut hat.
Der Name des Mediziners war mir entfallen, ich wusste aber die Straße noch und bemühte die Gelben Seiten. Es war so früh am Tag, dass ich vor der Arbeit vorbeifahren konnte.
Die Sprechstundenhilfe war noch nicht ganz wach und das Wartezimmer frei von plärrenden Kindern und gestressten Müttern.
»Wissen Sie, es geht um eine junge Frau mit einem Baby ... Ich habe die beiden vor kurzer Zeit mal hierher gefahren. Moment, das war am ...« Ich nannte das Datum, das ich anhand meines Terminkalenders ermittelt hatte. »So eine junge Hübsche mit einem ganz süßen Jungen. Thailänderin«, plapperte ich weiter. »War mal meine Nachbarin. Sie hat was in meinem Auto liegen gelassen, und danach war ich im Ausland unterwegs. Nun komm ich zurück und sie ist umgezogen und ich habe ihre neue Adresse nicht ...«
»Wie war nochmal das Datum?« Die Frau machte ein Gesicht, als würde sie alles tun, nur um mich schnell wieder loszuwerden.
Sie tippte die Ziffern in den PC.
»Ja, die waren an dem Tag bei uns«, teilte sie mir dann mit. »Frau Duong Thu Huong mit Sohn Ho. Die sind umgezogen. Ich schreib Ihnen mal die neue Adresse auf. Aber ...« Sie stutzte.
Mir stockte der Atem. Bekam sie plötzlich doch noch Bedenken?
»Die Frau Huong sollte bald mal wieder kommen. Der Kleine braucht eine Impfung.«
»Warum rufen Sie nicht an?«, fragte ich.
»Ich habe keine Telefonnummer. So ...« Sie reichte mir einen Zettel. »Hier haben Sie die Adresse.«
»Ich werde ihr wegen der Impfung ins Gewissen reden«, versprach ich lächelnd und nahm das Papier. »Vielen Dank und einen schönen Tag.«
Die neue Wohnung von Duong Thu Huong lag nicht weit von ihrer vorherigen entfernt. Die Frau war wirklich clever! Sie hatte sich ein neues Nest in der Nähe des alten gebaut – dort vermutete sie keiner.
Betty Blue kannte meinen Wagen, deshalb parkte ich ihn eine Straße weiter.
Langsam schlenderte ich durch das nördliche Stück Bierstadt. Hier lebten
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