Grappa 16 - Rote Karte für Grappa
für Margit gewesen als diese Wohnung. Margit braucht Ruhe – nach allem, was geschehen ist. Was hat sie bei Ihnen gewollt? Was hat sie Ihnen erzählt?«
»Sie hat Schlimmes erlebt«, entgegnete ich. »Ich war in der Klinik die Erste, die mit ihr geredet hat. Vielleicht ist sie deshalb zu mir gekommen.«
Erika Sauerwald sah mich zweifelnd an. »Sie kann mit mir über alles reden. Dazu braucht sie keine Frau wie Sie, eine, die sie hintergangen hat.«
Ich hatte keine Lust zu widersprechen. Auf dem Leder ihrer Handtasche bemerkte ich frische und alte Kratzer, die wohl von ihren Fingernägeln stammten.
»Ich möchte, dass Sie sich von Margit fern halten.«
»Ich habe ihre Nähe nicht gesucht – sie kam zu mir.«
»Ab einem bestimmten Alter werden Mutter-Tochter-Beziehungen kompliziert«, sagte sie. »Das wissen Sie ja bestimmt.«
»Nur theoretisch«, meinte ich. »Ich habe zwar keine Kinder, aber eine komplizierte Mutter. Wo ist Margit jetzt?«
»In der Klinik natürlich. Dort, wo ihr geholfen wird.«
»Ist sie freiwillig dort?«
»Natürlich. Verstehen Sie eigentlich, was das bedeutet für ein Mädchen? Vergewaltigt zu werden von so einem Dreckskerl?«
»Meine Vorstellungskraft reicht aus, glauben Sie mir.«
»Was ist das für ein Land, in dem ein Verbrecher über zehn Jahre lang ungestraft über Frauen und Mädchen herfallen kann?« Erika Sauerwald hatte eine jener Frauenstimmen, die beim Heraufschrauben der Lautstärke schrill und unerträglich wurden.
»Die Polizei ermittelt unermüdlich und es gibt einen genetischen Fingerabdruck«, sagte ich. »Vielleicht kommt es ja diesmal zu einer Festnahme.«
»Was hat Ihnen Margit über Toninho erzählt?«
»Nicht viel. Sie musste die Nachricht erst mal verdauen. Ich glaube, sie war verliebt in ihn.«
»Ja, das war wohl so. Aber er war ein Schwein, ein verdammter Hurenbock!«
»Was soll das denn heißen?« Mit einem solch heftigen Gefühlsausbruch hatte ich nicht gerechnet.
»Was soll das wohl heißen? Dass er sie unglücklich gemacht hat.«
»Dann können Sie ja froh sein, dass er tot ist«, entgegnete ich. »Und jetzt entschuldigen Sie mich – ich habe morgen einen schweren Tag und muss schlafen.«
Nachdem sie gegangen war, lüftete ich das Zimmer. Erika Sauerwalds Parfum hatte sich schwer und klebrig auf meine Möbel gelegt. Mich schauderte.
Sie hat Angst, resümierte ich, Angst, dass irgendetwas an die Öffentlichkeit kommt, was ihr reiches und bequemes Schmarotzerdasein jäh beenden könnte. Aber was konnte das sein?
Margit hatte sich nicht vollständig in das Luxusleben integrieren lassen – so schien es mir. Plötzlich glaubte ich zu wissen, was sie an Toninho fasziniert hatte: Er strahlte Lebensfreude, Ursprünglichkeit und Überlebenswillen aus, hatte sich hochgeboxt und aus eigener Kraft und aufgrund seines Talentes als Ballzauberer die Wellblechhütte in einem Slum bei Rio verlassen können.
Ein bisschen Slum hätte der kleinen Sauerwald vielleicht auch nicht geschadet, dachte ich.
Weltweit und stadtnah
Acordei com um aperto no peito e percebi que a distancia nao destruira o nosso amor.
Diesen Satz hatte Toninho an Margit Sauerwald geschrieben. Ein Kollege vom Tageblatt war mit einer Brasilianerin verheiratet und so hatte ich bereits vor der Redaktionskonferenz die Übersetzung vorliegen: Ich bin mit einem Druck in der Brust aufgewacht und habe gemerkt, dass die Entfernung unsere Liebe nicht zerstören wird.
Wie rührend. Aber leider auch nichts sagend. Zwei junge Menschen im Liebestaumel.
Die morgendliche Besprechung rauschte an mir vorbei. Fast. Als Peter Jansen über die Vorbereitungen der Fußballweltmeisterschaft sprach, fiel der Name Theo Böhme. Nicht dass er mir da schon etwas gesagt hätte. Theo Böhme – so schloss ich aus der Diskussion – besaß eine Marketingagentur namens Weltweit. Diese Firma hatte die Stadt sozusagen gekauft und bestimmte, was im kommenden Sommer in Bierstadt geschehen würde.
Es gab eine so genannte Bannmeile, innerhalb der nur die Dinge verscherbelt werden durften, die durch eine ausdrückliche Erlaubnis von der Agentur zugelassen worden waren. Ob es sich um Bier oder Bratwürste, Konzerte, Ausstellungen, Stadtmärkte oder Hotelzimmer handelte. Brauereien, die mit Wirten in der Bierstädter City seit Jahren Ausschankverträge abgeschlossen hatten, kündigten Klagen gegen das Verbot an.
An diesem Morgen lernte ich völlig neue Begriffe: Host City B-Event Sponsoring, Public Viewing Event,
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