Grappa 16 - Rote Karte für Grappa
und ausgeraubt werden. Ich verwarf meine Fluchtpläne wieder.
In einem flauschigen Bademantel, ungeschminkt und mit wirren roten Haaren schlich ich durch meine Wohnung und versuchte, Ordnung in meine Gedanken zu bekommen.
Womit hatte eigentlich alles angefangen? Mit dem Überfall auf Margit, der Entführung Toninhos? Oder gab es ein viel früheres Ereignis, das die Lawine an Gewalt und Verwirrung ausgelöst hatte?
Marcel Sauerwald, der gottähnliche Präsident der Schwarz-Gelben, hatte Toninho nach Bierstadt geholt – und damit auch sein privates Unglück heraufbeschworen: Frau und Tochter waren schnell vernarrt gewesen in den schwarzen Adonis.
Aber hatte den Präsidenten das überhaupt gestört? Sauerwald schien aufzugehen im Management des Vereins, hatte sich mit den Folgen seiner Fehlentscheidungen herumzuschlagen. Glückloser Börsengang, großspurige Finanzjonglagen, Millionenschulden und Ähnliches hielten den Präsidenten auf Trab.
Die Angriffe der Medien auf Sauerwald wurden immer hämischer und bösartiger und dabei taten sich gerade die Journalisten hervor, die ihm früher immer in den Allerwertesten gekrochen waren.
Dass seine Frau es mit dem Favela-Boy getrieben hatte, verlieh der Sache neben allem anderen einen besonderen Touch – den der Lächerlichkeit.
Erika und Toninho – das passte einfach ins Bild: eine sexuell und emotional ausgehungerte Frau und der junge Adonis aus Brasilien, der sich austoben wollte. Gottes Tochter ins Bett zu kriegen war ja nur der halbe Spaß, Gottes Frau brachte ungleich mehr Anerkennung auf dem Markt der Macho-Werte. Doch wie weit waren Erika Sauerwalds Gefühle gegangen? Hatte sie sich an das ungeschriebene Gesetz von Affären gehalten, bei denen im Bett alles denkbar, aber im Herzen alles verboten war?
Ein Typ wie Toninho schweigt doch nicht, dachte ich, der will protzen und Anerkennung bekommen. Er muss es jemandem erzählt haben!
Ich fuhr meinen Rechner hoch, ging auf die offizielle Vereinsseite von Schwarz-Gelb 09 und klickte auf die aktuelle Mannschaft. Es gab noch einen Spieler aus Brasilien, der vor einem Jahr beim Sport Club Corinthians Paulista eingekauft worden war: Anselmo.
Das könnte er sein, dachte ich. Der Freund aus der Heimat, der Toninho sportlich nicht das Wasser reichen konnte, als Vertrauter aber taugte. Anselmo hatte in der laufenden Saison bisher meist auf der Bank gesessen und in ihren beruflichen Anfängen waren beide Brasilianer Mitglieder in demselben Provinzverein gewesen.
Ich muss mit diesem Anselmo reden, dachte ich, und Eckermann muss mir dabei helfen.
Beate Schlicht hatte die Zeit ebenfalls genutzt, um nachzudenken. Ich saß gerade beim Frühstück – es war der Tag vor Silvester, als sie mich anrief.
»Ich habe eine Idee«, begann sie.
»Ich auch.«
»Dann erst du«, sagte sie.
»Anselmo.«
»Wer?«
»Anselmo ist der zweite Brasilianer in der Mannschaft«, erklärte ich. »Deiner Frage entnehme ich, dass er niemals von der Polizei vernommen worden ist.«
»Du hast Recht. Ist er nicht.«
»Kennst du dich eigentlich mit Männern aus?«, fragte ich.
»Was ist das denn für eine Frage?«
»Alle Männer geben gern mit ihren Eroberungen an. Und Brasilianer bestimmt noch mehr als deutsche Langweiler. Deshalb vermute ich, dass Toninho Anselmo alles erzählt hat, was liebesmäßig bei ihm gelaufen ist.«
Sie überlegte. »Die Idee ist gut. Ich werde sofort eine Vernehmung anregen. Brinkhoff hat sicher nichts dagegen. Soll ich mich auch um einen Dolmetscher kümmern?«
»Nein. Das machen wir anders. Eckermann muss uns helfen. Wenn Anselmo was von Polizei hört, macht der wahrscheinlich dicht. Diese Jungs kommen aus den Problemvierteln ihrer Städte und haben eine genetische Aversion gegen Bullen.«
»Aber Eckermann ist auch Bulle«, wandte sie ein.
»Ja, aber er kann seine Sprache und trifft bestimmt den richtigen Ton. Ich werde Adriano gleich anrufen.«
»Du nennst ihn Adriano?«, wunderte sie sich. »Nicht mehr Eckermann oder Baskenmützen-Heini?«
»Er darf ja auch Grappa zu mir sagen.«
»Ich hab schon Weihnachten gemerkt, dass er dir aus der Hand frisst«, frotzelte sie. »Nach dem Essen, das du aufgetischt hast, und den Blicken, die ihr euch zugeworfen habt. Du hast ihn ganz verzückt angeblinzelt.«
»Quatsch!«, entfuhr es mir heftiger, als ich wollte. »Ich hatte nur meine Brille verlegt.«
»Deshalb habt ihr immer so nah beieinander gesessen ...«
»Sag lieber, was dir eingefallen ist«, forderte
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