Grappa und die keusche Braut
mitgemacht?«
»Ja.«
»Ich verstehe nicht, wie Sie nach dem Vorfall auf der Toilette den Kurs überhaupt noch weiter unterrichten konnten«, wunderte ich mich. »Warum hat Lerchenmüller Sie da nicht rausgeholt?«
»Zuerst wusste er ja nichts von dem Video«, antwortete sie. »Wolfgang ist als Internatsdirektor nicht so nah an den Kindern wie die Lehrer, die ständig unterrichten. Er hat sich um so viele andere Dinge zu kümmern.«
»Wann haben Sie sich Lerchenmüller anvertraut?«
»Vor einem Monat. Er wollte die beteiligten Jungen von der Schule werfen. Mich beurlauben. Aber ich wollte das alles nicht.« Sie seufzte.
»Warum? Es wäre doch eine Möglichkeit gewesen, die Lage zu entspannen.«
»Ich habe den Fehler gemacht, mich mit Patrick einzulassen. Also wollte ich auch die Konsequenzen tragen. Den Kampf mit der Klasse austragen.«
»Wäre nicht eigentlich ein Disziplinarverfahren gegen Sie fällig gewesen? Wegen der Affäre mit Patrick?«, kam mir in den Sinn.
»Lerchenmüller hat mir zuliebe davon Abstand genommen. Ich konnte doch nicht ahnen, dass Patrick dermaßen durchdreht und zum Mörder wird.«
»Merkwürdig, dass er alle – sogar sich selbst – erschossen und Sie weitgehend geschont hat«, stellte ich fest. »Ein Schuss in die Schulter. Mehr nicht.«
»Ich hatte eben großes Glück.« Sie lächelte traurig.
»Haben Sie ihn geliebt?«
»Warum fragen Sie das?«
»Weil ich es wissen möchte.«
»Patrick war ein intelligenter junger Mann. Und ich glaubte am Anfang, dass er einen tadellosen Charakter hätte.«
»Also ging es Ihnen nur um seine inneren Werte«, sagte ich spöttisch.
»Es hat gleich gefunkt zwischen uns. Mir war klar, dass es nicht sein durfte. Mille ioci Veneris. «
»Was heißt das?«
» Tausendfach sind die Spiele der Venus. Ein Zitat aus der Ars amatoria von Ovid«, erklärte sie.
»Es war also eher gegenseitiges Begehren und keine Liebe?«
»Patrick war der beste Fick, den ich je hatte!«, stieß sie plötzlich hervor. »Aber wenn Sie das schreiben, dann …«
»Dann?«
Der sonntägliche Besuch bei Lara Lindenthal hatte nur eine knappe Stunde gedauert. Hatte ich etwas erfahren, was die Lehrerin erneut in Verdacht bringen würde? Nein. Dass sie gemobbt worden war, hatte ich vorher schon gewusst. Auch dass Patrick nicht der gut erzogene Unschuldsengel war. Neu war, dass Lerchenmüller von dem Mobbing gewusst hatte, aber untätig geblieben war.
Trotzdem – irgendetwas hatte zu einem Knoten in meinem Hirn geführt. Ich musste mit jemandem über den Fall reden, um die Blockade zu lösen.
Ich verließ das Gelände von Schloss Waldenstein auf dem Weg, den ich gekommen war. Leider hakte es beim Durchstieg an der Mauer. Meine Handtasche blieb mit einer Schlaufe im beschädigten Maschendraht hängen. Fluchend befreite ich das Teil und geriet mit der Hand in einen scharfen, verrosteten Draht. Es blutete heftig.
Ich starrte auf die Wunde. Erst mal abfließen lassen, dachte ich, damit der Dreck rausgeht.
Blut. Viel Blut. Die Schüsse und die Schreie. Mir ging der Morgen des schrecklichen Massakers wieder durch den Kopf. Hier, an dieser Stelle hatte die Geschichte angefangen. Doch jetzt war es still. Kein Polizeihubschrauber, keine Martinshörner und keine aufgeregten Stimmen. Nur leichter Wind in den Bäumen und eine Sonne, die noch nicht stark genug schien, die Feuchtigkeit aus dem Waldboden zu vertreiben.
Die Blutung ließ etwas nach. Ich legte ein Papiertaschentuch auf die Wunde.
Am Auto nahm ich einen sterilen Verband aus dem Notfallkasten und wickelte ihn um die Hand.
Der Weg war frei und ich erreichte die Asphaltstraße. Mein Handy klingelte. Ich hielt an und erkannte Brinkhoffs Nummer.
»Alles ist gut gegangen«, berichtete ich. »Ich konnte mit Frau Lindenthal sprechen. Das hat eigentlich nichts gebracht. Aber das Gespräch hat mich an etwas erinnert, was ich nicht zu packen kriege.«
»Erzähl es dem Hausmeister deines Vertrauens. Vielleicht klappt es dann. Ich höre dir zu, Grappa.«
»Mir gehen die beiden Schüsse nicht aus dem Kopf«, sagte ich.
»Welche beiden Schüsse?«
»Am Tag, als es passierte«, erläuterte ich. »Wir waren da ja im Garten hinter dem Schloss. Es war furchtbar. Dieses Rat-tat-tat aus der Maschinenpistole.«
»Wieso sprichst du dann von zwei Schüssen?«, fragte Brinkhoff.
»Am Ende gab es eine Pause und dann noch zwei einzelne Schüsse.«
»Vielleicht musste er nachladen.«
»Der letzte
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