Grappa und die Toten vom See
Mittelpunkt kritischer Diskussionen.
»Ich habe Kontakt zu einem früheren Soldaten«, erklärte Bärchen in der Redaktionskonferenz. »Der ist der Meinung, dass Adolf Hitler ein großartiger Mann gewesen sei. Und es seien keineswegs sechs Millionen Juden ermordet worden, sondern höchstens zwei. Und wisst ihr, was der heute macht?«
»Bundestagsabgeordneter?«, tippte ich.
»Noch schlimmer«, nahm Bärchen den Scherz auf. »Er arbeitet für den Verfassungsschutz. Er hat sozusagen sein Hobby zum Beruf gemacht. Der MAD – das ist der Militärische Abschirmdienst – hat ihn während seiner Bundeswehrzeit als rechtsextrem eingestuft und es weitergemeldet. Doch seine Vorgesetzten haben nichts unternommen. Er sei ein freundlicher junger Mann und man habe keinen Anlass gesehen, ihn vom Dienst zu suspendieren.«
»Und was soll die Stoßrichtung eines solchen Artikels sein?«, fragte Schnack.
»Dass die neuen Rechten überall ihre braunen Finger drin haben genau wie die alten Nazis kurz nach dem Krieg«, ereiferte sich Bärchen. »Es hat keine echte Entnazifizierung in Deutschland gegeben.«
»Ich finde Carstens Vorschlag gut«, meldete ich mich zu Wort. »Das ist mal eine Variante des Themas. In den aktuellen Fällen gibt es zurzeit ohnehin wenig zu berichten.«
Schnack akzeptierte schließlich.
Das gab mir Raum, die losen Fäden in meinem Ermittlungsteppich zu ordnen. Vor allen Dingen musste ich Fabian Fellner finden. Aber wie?
Die einzige Verbindung zu ihm war die Handynummer. Da er nicht an sein Telefon ging, schickte ich ihm eine SMS.
»Fellner will sich nicht finden lassen, Grappa«, demotivierte mich Pöppelbaum. »Weißt du, was das Blöde an diesem Fall ist?«
»Nee.«
»Ich finde, alles sieht so aus, als ob die Geheimdienste ihre Finger drin haben. Die wollen bestimmt nicht aufklären, sondern vertuschen. Sieht man doch an den Ermittlungen zur Zwickauer Zelle. Über zehn Jahre konnten die unbehelligt Ausländer abknallen. Dabei gab es jede Menge Anhaltspunkte und genug V-Leute, die in der Szene aktiv waren und das alles hätten verhindern können.«
»Ein V-Mann!«, rief ich. »Fellner könnte ein V-Mann des Verfassungsschutzes sein! Das würde sein Verschwinden erklären und seine Lügen.«
»Ja, könnte er. Er könnte aber auch tot sein. Schon mal daran gedacht?«
Mein Hauptkommissar hatte Fellners Handy noch nicht orten können. Vermutlich war es ausgeschaltet. Doch Kleist hatte mir die Liste der Einzelverbindungsnachweise über die Gespräche Fellners zugespielt. Für die Polizei waren sie wenig relevant, weil Fellner in den Ermittlungen kaum eine Rolle spielte. Ich ging die Liste durch.
Eine Nummer mit Bierstädter Vorwahl hatte Fellner mehrfach angerufen. Ich drückte die entsprechenden Tasten meines Telefons.
»Anwaltskanzlei Ghafouri und Partner. Mein Name ist Bolte, was kann ich für Sie tun?«, sprach eine gelangweilte Stimme.
Ich legte auf und warf die Suchmaschine an. Dr. Hassan Ghafouri war ein viel beschäftigter Strafverteidiger. Seine Fälle interessierten mich weniger, aber bei einem Foto merkte ich auf: Es zeigte Dr. Hassan Ghafouri und eine junge Frau beim Opernball im Bierstädter Konzerthaus.
Die Bildunterzeile lautete: Rechtsanwalt Dr. Hassan Ghafouri und seine Verlobte Melanie Mahler amüsieren sich köstlich beim diesjährigen Opernball.
Jetzt war ich baff.
Melanie Mahler war eine sehr schöne junge Frau gewesen. Sie hatte große, braune Rehaugen und dunkelblondes Haar. Ihr Kleid war tief dekolletiert, aber es wirkte nicht auf billige Art sexy, sondern sehr elegant. Nicht zu fassen, dass sie tot war und jetzt in der Erde vermoderte.
Warum hatte Fellner den Anwalt angerufen? Was wollte er von ihm?
Mandanten sind immer unschuldig
Ghafouri arbeitete an einem Fall, der zurzeit immer wieder durch die Presse ging. Er verteidigte eine Frau, die des Mordes an drei Kindern verdächtigt wurde. Die 29-jährige Bulgarin hatte in der Wohnung ihres türkischen Freundes Feuer gelegt. Bei den Löscharbeiten wurden in der Wohnung dessen drei kleine Kinder gefunden – tot! Die Frau stand im Verdacht, die Kinder mit einem Messer ermordet zu haben, bevor sie die Wohnung in Brand setzte. Der Vater der Kinder hatte geplant, ohne seine Freundin in die Türkei zu ziehen. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen die Frau Anklage wegen Mordes und Brandstiftung erhoben.
Dieser Fall war meine Eintrittskarte in ein Gespräch mit dem Anwalt.
»Anwaltskanzlei Ghafouri und Partner. Mein Name ist
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