Grappa und die Toten vom See
Bolte, was kann ich für Sie tun?«, sprach die gelangweilte Stimme wieder.
Ich behauptete, mich für den Prozess zu interessieren und ein Feature über den Anwalt schreiben zu wollen. So bekam ich einen Termin in einer halben Stunde. Pöppelbaum begleitete mich. Bei einem solchen Porträt braucht man Bilder des Interviewten.
»Meine Mandantin ist unschuldig«, tönte der Anwalt. Er sah lebendiger aus als auf dem Foto in der Zeitung. Ein glatter, smarter Typ in feinem Zwirn, mit gelblicher Haut und gelacktem Haar. Der Bluthund turnte in dem Büro herum und lichtete den Anwalt aus verschiedenen Perspektiven ab.
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte ich.
»Sie hat nur das Feuer gelegt«, räumte der Anwalt ein.
»Unschuldig ist das aber nicht«, stellte ich fest.
»Sie hat die Kinder nicht getötet.«
»Hat sie Ihnen das so erzählt?«
Er räusperte sich. »Sie wollte mit dem Feuer auf ihre Situation aufmerksam machen. Und dann kam dieser Mann.«
»Welcher Mann?« Jetzt staunte ich.
»Der Mann, der die Kinder getötet und meine Mandantin angegriffen hat.«
»Verstehe. Der große Unbekannte. Warum hat er das denn getan?«
»Das müssen Sie den Mörder fragen. Vielleicht hat sich der Türke nicht so verhalten, wie es einem gläubigen Moslem angemessen ist. Er lebte mit einer ungläubigen Hure zusammen.«
»Für einen lockeren Lebenswandel werden doch immer nur die Frauen bestraft und nicht die Männer«, widersprach ich. »Die männlichen Moslems können doch leben, wie sie wollen.«
»Das sehen Sie falsch. Haben Sie etwas gegen Moslems?«
»Nein, nur gegen Islamisten und jede Art von Gotteskriegern.«
»Gegen die habe ich auch was«, meinte Ghafouri. »Aber ich kann auch nicht alles gutheißen, was in der angeblich so aufgeklärten und freiheitlichen deutschen Gesellschaft geschieht.«
»Sie waren mit Melanie Mahler verlobt. Wie haben Sie ihren Tod verkraftet?«, wechselte ich das Thema.
Ghafouri zuckte nicht mit der Wimper. »Ich bin sehr traurig und tief betroffen. Aber die Verlobung bestand nicht mehr.«
»Oh. Was war der Grund?«
Ghafouris Augen wurden schmal. »Es geht Sie zwar nichts an, aber da ich nichts zu verbergen habe, sage ich es Ihnen offen: Sie hatte mir eine wichtige Tatsache verschwiegen. Nämlich, dass sie aus einer jüdischen Familie stammt.«
»Sie haben sich aus religiösen Gründen von ihr getrennt?«, fragte ich ungläubig.
»Ich bin Moslem, meine Familie lebt im Iran und ist der Führung des Landes eng verbunden.«
»Verstehe. Da passt eine Jüdin nicht ins Bild. Wie hat Melanie das denn aufgenommen?«
»Das geht Sie nichts an«, meinte er unfreundlich.
»Und was haben Sie mit Herrn Fellner zu tun?«
»Mit wem?«
»Fabian Fellner.«
»Wer soll das denn nun wieder sein?«, fragte Ghafouri – sichtlich genervt. Er winkte Wayne ungeduldig zu, er solle das Fotografieren lassen.
»Ein Freund von David Cohn. Und David Cohn war Melanies Cousin. Fellner hat mehrfach bei Ihnen angerufen. Was wollte er von Ihnen?«
»Ich habe keine Ahnung, wen Sie meinen«, sagte er kühl. »Und jetzt habe ich zu tun. Guten Tag!«
Trenchcoats wie im Kino
Als Pöppelbaum und ich die Kanzlei verließen, bemerkte ich gegenüber auf dem Bürgersteig zwei Männer. Sie sahen zu unauffällig aus, um es wirklich zu sein. Und sie trugen Trenchcoats.
»Mach bitte ein Foto von den beiden Schnuckis«, forderte ich den Bluthund auf.
Er blickte zu den beiden hin, war aber nicht schnell genug. Als er die Kamera hob, drehten die Männer ab und tauchten ab im Gewühl.
»Wer waren die denn?«, fragte Wayne.
»Das ist doch ganz einfach«, antwortete ich. »Mossad, BKA, Verfassungsschutz, Neonazis, Islamisten. Such dir etwas aus!«
»Endlich kloppen sich die Männer mal um dich«, grinste Wayne. »Warum hat Melanie ihrem Verlobten verschwiegen, dass sie Jüdin ist?«
»Sie hat ihm nichts verschwiegen«, entgegnete ich. »Sie hat dem keine Bedeutung zugemessen. Würdest du einer Freundin zuerst erzählen, ob du katholisch oder evangelisch bist?«
»Nee. Ich würde zuallererst von meinen erotischen Qualitäten sprechen.«
»Na siehste! Der Verlobte kam erst drauf, als David Cohn aus Israel anreiste.«
»Dann kann die Liebe ja nicht groß gewesen sein. Und was schreibst du nun?«
»Die zutiefst tragische Geschichte einer Liebesbeziehung, die an Intoleranz und Rassismus eines der Partner gescheitert ist«, lächelte ich.
Wayne schaute ungläubig.
»Mach dir keine Sorgen«, grinste ich. »Unsere brave
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