Grappa und die Toten vom See
geschmacklos«, sagte Dr. Margarete Wurbel-Simonis und deutete auf das Foto in der Blöd-Zeitung. »Und wenn jeder Tote die eigenen Hobbys auf seinem Grab verewigt, dann mutieren unsere Friedhöfe in kürzester Zeit zu Vergnügungsparks und Jahrmärkten.«
»Es geht nicht um unsere privaten Befindlichkeiten«, wies Schnack die Kulturredakteurin zurecht. »Wir berichten über gesprächswertige Themen. Haben Sie auch etwas zu der Diskussion beizutragen, Frau Grappa?«
»Ich habe mich in den letzten Wochen mit Morden an Juden befasst, mit Rassenhass und Intoleranz«, entgegnete ich. »Mit fehlt zurzeit der Zugang zu so einem Thema. Die Gestaltung von Gräbern halte ich außerdem für reine Geschmacksache.«
»Was wünschst du dir denn für deinen Grabstein, Grappa?«, fragte Simon Harras grinsend.
»Das Logo des Tageblattes und ein eingemeißeltes Porträt von dir«, gab ich zurück.
Gelächter.
Schnack hüstelte. »Also? Wer kümmert sich?«
»Es geht doch letztendlich um Fußball«, fiel mir ein. »Und Fußball ist Sport. Und wer ist hier am Tisch der Sportreporter?«
Harras zog ein langes Gesicht und rührte sich nicht.
Bärchen Biber machte noch einen Themenvorschlag, der in Harras Ressort passte: Doping im örtlichen Radsport.
»Das ist ja mal was ganz Neues«, spottete ich.
»Hier, bei uns? Was sollen die denn genommen haben?«, fragte Harras. »Bier und Korn?«
»Das recherchiere ich doch gerade«, sagte Bärchen ernst. »Ich bin in Kontakt mit dem Dopingbeauftragten des Radsportvereins Zwanglos e. V. Er will mir gegenüber alles offenlegen. Vorbehaltlos.«
»Ist der Typ nicht der Onkel von Jan Ullrich?«, warf Simon ein.
Ich prustete los.
»Na, na, ich muss doch sehr bitten«, warf sich Schnack für seinen Liebling in die Bresche. »Immer diese unkollegialen Spitzen! Gegen eine Recherche spricht ja wohl nichts.«
»Wann fängt Doping eigentlich an?«, fragte Wurbel-Simonis. »Dope ich mich bereits, wenn ich jeden Morgen fünf Tassen Beruhigungstee trinken muss, um diese Konferenz hier zu überstehen?«
»Das ist kein Doping«, tröstete ich sie. »Sondern reine Rücksichtnahme uns gegenüber.«
»Und was werfen Sie jeden Morgen ein, Frau Kollegin?«, zischte sie zurück.
»Ich guck mir jeden Morgen Ihr Foto auf unserer Homepage an – das bringt mich blendend durch den Tag.«
»Zickenkrieg!«, rief Harras. »Ich nehme noch Wetten an, wer gewinnt. Ich tippe auf Grappa.«
»Schluss jetzt!«, brüllte Schnack.
Es klopfte und Susi trat ein.
»Es gibt gleich einen Pressetermin beim BVB. Die treffen sich mit den Eltern des toten Jungen«, teilte sie mit. »In einer halben Stunde.«
Alle Augen richteten sich auf Harras.
»Okay, ich mach’s«, seufzte er.
In meinem Mail-Account wartete eine Nachricht von Holger Bruns. Er wollte mich am Nachmittag in der Opferberatungsstelle treffen. Allein und ohne Fotografen – forderte er.
Journalisten und das Ego anderer
Die Büros der Beratungsstelle waren in einem unscheinbaren Haus untergebracht. Luisa Licht führte mich in einen Besprechungsraum.
»Kaffee?«
»Ja, gern. Wie geht es eigentlich der schwangeren Exfreundin von Schatto?«
»Chantal hat sich völlig aus der Szene zurückgezogen. Und sie freut sich auf das Baby«, berichtete Licht. »Ich glaube, sie ist auf einem guten Weg. Zum Glück hält sich die Polizei zurück. Die Kleine hatte ja wirklich keine Ahnung, dass ihr Freund ein Mörder ist.«
»Augen auf bei der Partnerwahl«, meinte ich.
»Jedenfalls wäre es für sie schwieriger, wenn Schatto noch leben würde«, urteilte Licht gnadenlos. »Ich hol den Kaffee. Holger müsste gleich da sein. Er ist immer sehr pünktlich.«
Damit hatte sie recht. Ja, dieser Holger passte zu dem Mann aus der Fernsehshow: Mitte vierzig und untersetzt. Freilich fehlten der Vollbart und die buschigen Augenbrauen.
Licht ließ uns allein.
»Warum machen Sie ein solches Geheimnis um Ihre Person?«
»Ich könnte nicht arbeiten, wenn ich in der Szene bekannt wäre«, antwortete er. »Klar, dass Ihnen das merkwürdig vorkommt in einer Welt, in der jeder sein Ego gegenüber Journalisten ausbreitet.«
»Ein Fabian Fellner hat sich mir gegenüber als Sie ausgegeben. Sagt Ihnen der Name Fellner was?«
»Nie gehört. Was hatte er denn für einen Grund?«
»Er wollte mich aushorchen, vermute ich. Und vielleicht war er ein Freund des ermordeten israelischen Journalisten.«
»Mit David Cohn hatte ich Kontakt«, erklärte Bruns. »Eigentlich wollten wir uns
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