Grappa und die Toten vom See
treffen, doch ich hörte dann nichts mehr von ihm. Später wusste ich, warum.«
»Was wollte er wissen?«
»Das Gleiche wie Sie. Er wollte Informationen über die Vierzigerjahre in Norditalien. Die Massaker an den jüdischen Flüchtlingen. Seine Vorfahren kamen dort um.«
»Was wissen Sie über SS-Hauptsturmführer Steiger?«
Bruns zog ein Papier aus der Tasche. »Lesen Sie. Ich habe Ihnen eine Zusammenfassung mitgebracht. Die Kopien der originalen Dokumente aus den Archiven können Sie bei mir einsehen, wenn Sie wünschen.«
SS-Hauptsturmführer Theodor Steiger wurde 1910 geboren. Sein Vater war Professor für Physik. Steiger studierte Jura und legte ein glänzendes Examen ab. Anfang 1936 trat er in die SS ein. In seinen Beurteilungen wurde er als tüchtig, fleißig, schnell und überaus intelligent bezeichnet. Reinhard Heydrich, der spätere Organisator der Judenvernichtung, berief Steiger sechs Wochen nach Kriegsausbruch zum Leiter der Einwandererzentrale. Baltendeutsche mussten heim ins Reich geholt, Juden und Polen ins Generalgouvernement abgeschoben werden. Danach wirkte Steiger an Judendeportationen in Straßburg mit. In den folgenden Jahren befahl er als SS-Kommandeur die Hinrichtung von Kommunisten und Massenerschießungen von Juden und Zigeunern. 1943 trat er in die ›1. SS-Panzer-Division Leibstandarte-SS Adolf Hitler‹ ein. 1944 war er als Hauptsturmführer der SS für die Massaker an jüdischen Flüchtlingen verantwortlich. Nach Kriegsende verlor sich die Spur von Theodor Steiger. Trotz umfangreicher Ermittlungen können über seinen Verbleib keine Angaben gemacht werden.
Ich legte das Papier auf den Tisch. »Hatte Steiger Frau und Kinder?«
»Ja, eine Frau und einen Sohn. Der wurde 1944 geboren.«
»Dann müsste er jetzt um die siebzig sein. Er könnte also noch leben – im Gegensatz zu seinen Eltern«, sagte ich. »Was ist aus Steigers Frau geworden?«
»Das hat mich David Cohn auch gefragt. In den Archiven habe ich dazu nur gefunden, dass sie Deutschland mit ihrem Sohn Richtung Paraguay verlassen hat.«
»Paraguay? Ein beliebtes Land für alte Nazis, die nach dem Krieg unterkriechen mussten. Vielleicht hat sie ihren Mann dort wiedergetroffen.«
»Das ist möglich. Das NS-Archiv und die Zentralstelle für die Verfolgung von nationalsozialistischen Verbrechen haben nachgeforscht – allerdings ohne Erfolg. Die Spur von Steigers Frau verliert sich in den frühen Sechzigerjahren. Sie wird wohl wieder geheiratet und ihren Namen geändert haben. Den könnte der Sohn dann angenommen haben. Außerdem war Theodor Steiger sehr gut vernetzt. Der wird früh geahnt haben, dass das sogenannte tausendjährige Reich nicht durchhält. Ich vermute, dass er seinen Ausstieg generalstabsmäßig vorbereitet, sich dann ins Ausland abgesetzt hat und mit neuer Identität wiedergekommen ist – mit den jüdischen Millionen auf einem Schweizer Nummernkonto.«
»Ist in Ihren Recherchen irgendwann mal der Name ›Motte‹ aufgetaucht?«, fragte ich.
»›Motte?‹ Das ist doch dieser Münchner Waffenfabrikant. Den Namen kennt fast jeder. Allerdings hat Cohn ihn auch genannt. Er glaubte, dass diese Waffenfirma mit den gestohlenen Millionen seines Großonkels aufgebaut wurde. Angeblich hatte er sogar Beweise dafür.«
»Diese Beweise würde ich zu gern sehen«, seufzte ich. »Motte war am Tatort in Italien und hat etwas gesucht. Mein Kollege und ich haben ihn dabei fotografiert. Motte behauptete bei seiner Vernehmung, dass Cohn ihn treffen wollte. Und dann kam der Mord dazwischen.«
»Wissen Sie … wenn Cohn recht hatte und die Firma Motte aus nationalsozialistischen Blutdiamanten entstanden ist, das wäre eine riesige Sensation.«
»Schon. Und das würde zu den Dingen passen, die Sie beschreiben. Aber es fehlen zwei entscheidende Brücken. Es gibt noch keinen Zusammenhang zwischen den Diamanten und dem Gründungskapital der Waffenschmiede. Und ob die Familie Motte und Steiger verbunden sind, wissen wir auch nicht.«
Bruns seufzte. »Schade. Ich hatte gehofft, Sie wären mit Ihren Recherchen schon weiter – gerade in Bezug auf die Vergangenheit der Familie Motte.«
Wir beschlossen, in Verbindung zu bleiben und uns gegenseitig mit Informationen zu versorgen. Er gab mir seine Handynummer und nannte mir sogar seinen Klarnamen Hein Behrens und seine Adresse.
Anschlag auf Frau Schmitz
Am frühen Morgen holte mich Pöppelbaum aus dem Schlaf. »Deine Frau Schmitz ist schwer verletzt. Sie muss notoperiert
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