Grappas Gespuer Fuer Schnee
Zeit gewesen – die junge Frau hatte gestern im Fernsehturm-Restaurant am Nebentisch gesessen. Es war jene, von der Kleist angenommen hatte, dass sie für einen Escort-Service arbeitete!
Persönlichkeitsschutz ist nicht Personenschutz
Ich griff zum Telefon und ließ mir den Geschäftsführer des Fernsehturm-Restaurants ans andere Ende der Leitung holen.
»Hier Grappa vom Bierstädter Tageblatt «, begann ich. »Ich habe gestern Abend mit einem Bekannten bei Ihnen köstlich gespeist – es war wirklich hervorragend und ich werde Sie weiterempfehlen. Leider hat mein Freund versehentlich den Seidenschal eines anderen Gastes in seinem Mantelärmel gefunden. Vermutlich gehörte er dem jungen Mann am Nebentisch. Er und seine Begleitung sind vor uns gegangen. Haben Sie eine Idee, wie ich dem Herrn den Schal zurückgeben kann?«
»An welchem unserer Tische haben Sie gesessen?«, fragte der Mann.
»An dem mit der besten Aussicht«, witzelte ich. »Der Tisch war vorbestellt – auf den Namen Kleist.«
»Moment, ich schaue in die Liste.«
Ich wartete. Im Hintergrund Geschirrklappern und leise Musik.
»Sie hatten Tisch drei«, meldete er sich wieder. »Tisch vier war nicht belegt zu dieser Zeit, also muss es Tisch zwei gewesen sein. Ja, für Tisch zwei gab es eine Reservierung. Zwei Personen. Auf den Namen Abdallah al-Murad.«
»Und wie kann ich Herrn Murad den Schal zukommen lassen?«
»Eine Adresse habe ich nicht, aber er hat eine Telefonnummer angegeben.« Er zögerte. »Aber ich weiß nicht, ob ich die so ohne Weiteres herausgeben darf.«
»Das müssen Sie entscheiden. Wie hat der Herr denn bezahlt?«
»Kreditkarte. Eine Bank in Kuwait. Die Karte ist auf seine Firma ausgestellt. Würde es Ihnen genügen, wenn ich Ihnen den Namen der Firma sage?«
Klar würde es das. Ich vernahm den Namen eines großen Bauunternehmens, das auch in Bierstadt eine Niederlassung hatte.
Ja, da war es plötzlich wieder – dieses Kribbeln im Bauch. Mein Jagdinstinkt war voll da. Milva Grandi, du Hühnchen, ich komme! Und zwar gewaltig!
Den zweiten Treffer an diesem Tag landete wenig später Peter Jansen. Er hatte tatsächlich herausbekommen, von welchem Rechner aus die Partyfotos an mich geschickt worden waren.
»Und? Wem gehört das Teil?«, fragte ich neugierig.
»Der Rechner steht im Bierstädter Polizeipräsidium«, verkündete mein Chef. »Ist das nicht merkwürdig?«
Mir fehlten die Worte. Gab es die undichte Stelle bei der Kripo wirklich? Und ein neuer Verdacht keimte in mir: Hatte vielleicht Kleist mir die Fotos geschickt nach unserer Unstimmigkeit vom Vorabend? Wenn ich ihn fragen würde und er es nicht war, würde er alles daransetzen, die undichte Stelle in seiner Behörde zu finden. Vielleicht könnte mir aber gerade diese undichte Stelle in Zukunft noch sehr nützlich sein. Also lieber schweigen.
Ich machte mich an die Arbeit und haute in die Tasten.
SEX UND DROGEN IM BIERSTÄDTER RATHAUS – FOTOS BEWEISEN: ALLE MACHTEN MIT UND ALLE HIELTEN DICHT
Ein Exklusivbericht von unserer Reporterin Maria Grappa.
Nein. Alle nicht. Oberbürgermeister Nagel war auf den Bildern nicht zu sehen. Ich verbesserte: ›fast alle‹.
Wird unsere Stadt von einem Haufen drogenkranker Politiker regiert? Wer finanzierte die Kokain- und Sexpartys im Rathaus? Warum musste die Frau sterben, die seit Jahren Gelder aus der Stadtkasse unterschlug?
Dem Bierstädter Tageblatt liegt eine Reihe von Fotos vor, die das Schlimmste bestätigen: Parteipolitiker, Dezernenten und Ratsmitglieder ließen es so richtig krachen. Leichte Mädchen und harte Drogen – das war das parteiübergreifende Feierabendvergnügen unserer gewählten Volksvertreter. Die Fotoserie zeigt unter anderem: Geschlechtsverkehr auf Schreibtischen, Oralverkehr vor dem Kopierer und Politiker, die Linien ziehen.
Musste Jessica B. (48) sterben, weil sie auspacken wollte? Die Mitarbeiterin im Büro des Oberbürgermeisters war beurlaubt worden, weil sie Hunderttausende von Euro aus der Stadtkasse unterschlagen haben soll. Dienstag wurde ihre stark verweste Leiche gefunden. Wurde sie getötet, weil sie mit ihrem Handy von den Sexpartys im Rathaus Fotos gemacht hatte? Diese aussagekräftigen Bilder liegen dem Tageblatt vor. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes werden keine Namen veröffentlicht und die Gesichter unkenntlich gemacht.
Jansen kicherte bei der Lektüre meines Berichtes. »Persönlichkeitsschutz ist gut, Grappa. Jeder, der nicht völlig Banane ist, kann sich
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