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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grimms Woerter
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gelang, neigt mir sogar sein Ohr zu.
    Stets
ist die Hexe fürs Feuer gut.
    In
Fässern, innen mit Nägeln bestückt,
    wird
Strafe vollstreckt.
    Und
immer ist die Stiefmutter böse.
    Alle
Brunnen verwünscht sie,
    so
daß Schwesterchen rufen muß,
    »Brüderchen,
ich bitte dich, trink nicht,
    sonst
wirst du ein Wolf und frissest mich.«
    Alles,
aber auch alles, Wald, Wiese, Stadt,
    eignet
dem König Drosselbart,
    der
sich jedoch ärmer als arm stellt;
    ein
Trick, der bei den oberen Zehntausend Schule machte,
    wie
ja auch Rumpelstilzchen
    mit
seinem »Ach, wie gut, daß niemand weiß...«
    ein
Heer Agenten und sonstige Geheimnisträger geschult hat,
    bis
sie aufflogen, nicht alle, aber einige doch.
    Und
als es Königstochter jüngste juckte,
    sich
den kalten Frosch ins Bett zu holen,
    schmiß
sie ihn alsbald angewidert gegen die Wand,
    worauf
ein Prinz aus ihm ward;
    weshalb
sich später, viel später
    die
Analytiker aller Länder trafen,
    um
klug über Ekel und Eros zu reden.
    Als
aber Hänsel und Gretel,
    deren
Eltern unterhalb der Armutsschwelle lebten
    und
ohne Anspruch auf Hartz IV waren,
    sich
im Wald verliefen, begann
    die
Soziale Frage nach Antwort zu suchen;
    das
tut sie noch immer.
    Indessen
hatte Wilhelm Grimm meine Fragen beantwortet und begann nun mit seinem Bruder
zu hadern, weil der im Fall Aschenputtel auf der Urfassung »Blut ist im Schuck«
bestand, während er, des sauberen Reimes wegen, aufs Ruckedigu der Tauben mit
»Blut ist im Schuh« setzen wollte.
    Als
ich mich, vielleicht ein wenig zu ausführlich, zuerst über Hexenverbrennung im
Märchen, dann über absichtsvolle Selbstverstümmelung zu verbreiten begann,
verging mir Wilhelm. Gerade noch konnte ich ihm die Nachricht von Heinrich
Hirzeis Tod im Jahr 1894 vermitteln und aufzählen, was alles zu dessen
Lebzeiten dem Buchstaben M folgte, aber von meinem nun wieder mißmutigen
Gesprächspartner kam nur noch, während er zuerst von den Rändern her
zerfranste, sich schließlich als Wolke verflüchtigte, die anschließende
Verszeile: »der Schuh ist zu klein, die rechte Braut sitzt noch daheim.«
    Oder
waren es die gurrenden Tauben vorm Lortzingdenkmal, die ich hörte?
    Kaum
lag der Tiergarten und alles, was ihm von A bis Z anhing, hinter mir, fing mich
auf dem Potsdamer Platz die Berliner Gegenwart mit all ihren Nebengeräuschen
ein: Intrigen, Skandale, das alltägliche Zeitungsgewäsch und der besondere, wie
schon Fontane sagte, »Sprechanismus« der Bewohner dieser immer unfertigen, auf
Sand gebauten und wohl deshalb nie mit sich zufrieden sein wollenden Stadt. Auf
dem Platz verlor ich mich zwischen Fassaden von Großbauten, die auch anderswo
hätten beliebig sein können, doch an Ort und Stelle Ausgeburten jener Bauwut
sind, die sich, kaum war die Mauer gefallen, der seit Kriegsende öden Fläche
bemächtigt hatte.
    Weil
mir aber noch immer Wilhelms klagende Stimme leicht hessisch nuschelnd im Ohr
nistete und er nicht aufhören wollte, mich mit einer Variante des Märchens vom
Schlaraffenland einzudecken, indem er mit Würsten, Schinken und einer knusprig
gebratenen Gans gereihte Lügengeschichten auftischte, deren Pointen mal
dickbäuchig auftrumpften, mal fadenscheinig blinzelten oder aber die ihnen
anhängliche Moral wie ein Kostüm wechselten, so daß schlußendlich Arm und Reich
miteinander versöhnt, Mangel und Überfluß gott- und naturgegeben zu sein
schienen, bin ich nun versucht, meinerseits eine wahre Begebenheit aus jüngstem
Zeitgeschehen, die allerdings kaum noch zum Himmel stinkt, zweigleisig in ein
Märchen zu kleiden.
     
    Es
war einmal ein Mann, der sich äußerlich gesittet gab, aber inwendig
hartgesotten war. Er beherrschte das gesamte Postwesen, ob verdrahtet oder
drahtlos vernetzt. Seine vieltausend Bediensteten überwachte er bis ins
Geheimste. Ob seiner erwiesenen Härte und feinsinnigen Manieren genoß er
Ansehen, weshalb die Regierenden seinen Rat suchten, der nicht billig war.
    Da
ihn aber seine Herrschaft reich und immer reicher gemacht hatte und der Segen
nicht ablassen wollte, wußte er nicht, wohin mit dem angehäuften Geld.
Schließlich und nach kurzer Beratung mit eigens für solche Notlage geschulten
Beratern versteckte er es weitweg in einem Ländchen, dessen Schloßherren
fürstlich vom Versteckten leben. Dabei vergaß er in aller Eile - gewiß auch in
Vorfreude auf weiteren Zugewinn -, von seinem Geld Steuern abzugeben, wie es
nun mal das Recht verlangt.
    Das
aber mißfiel einer Frau, die als weise galt,

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